Wenn einer in den vergangenen Jahren Chiles internationales Ansehen gesteigert hat, so war dies sein Präsident Sebastián Piñera. Nicht so sehr als Ritter der Redemokratisierung, sondern als Knappe der Diplomatie.
Seit seiner Unabhängigkeit vor 150 Jahren ist Chile als Nachbar in unzähligen Territorialdisputen bekannt, deren Ende nicht zu abzusehen ist: In Den Haag ist 2013 mit dem Spruch des Internationalen Gerichtshofs zur Kontroverse mit Peru über den Küstenverlauf-, aber auch mit einer Klage Boliviens gegen Chile zu rechnen. Am Ende des sogenannten „Salpeterkriegs“ (1879-1873), einverleibte sich das siegreiche Chile den an Bodenschätzen reichen Südwesten Boliviens und Perus und erfuhr mit den Salpeterminen den ersten wirtschaftlichen Aufschwung in seiner Geschichte. Bolivien jedoch verlor seinen Zugang zum Meer und verkam zum mediterranen Land. Diesem Zustand will Präsident Evo Morales ein Ende setzen, doch wie im Kraftakt mit Peru, pocht Chile auf die „Unkündbarkeit historischer Verträge“.
Andersrum im Verhältnis zu Argentinien: Chile war stets immer der Querulant, sei es um wenige Quadratkilometer vereister Andengipfel in Patagonien, oder ein paar Gottverlassener Inseln an der Magallan-Strasse. Als Vertreter des Landes, das noch 1978 entschlossen war, im Beagle-Konflikt gegen Argentinien in den Krieg zu ziehen, setzte Sebastián Piñera neue Signale mit dem eindeutigen Votum Chiles für die argentinische Souveränität über die Malwinen-Inseln. In der überraschten Downing Street, aber auch im Weissen Haus, staunte man weiter, als der konservative Piñera nun mit Raúl Castro, Evo Morales, Daniel Ortega und Rafael Correa die Totenwache von Hugo Chávez in Caracas teilte. Kenner des Staatspräsidenten unterstellen ihm in beiden Fällen kalkulkierte diplomatische Show. Doch es ist geschehen, Chiles Auftreten auf dem internationalen Parkett ist sichtbar geworden.
Weniger erfolgreich ist Piñera im Lande selbst, wo seine Popularität nach drei Jahren Amtszeit auf 38 Prozent abgestürzt ist. Da hilft ihm auch nicht der jüngste „Human Development Report“ der UN, der Chile den höchsten Entwicklungsstandard in Lateinamerika zuweist: Daß die Lebenswartung in Chile während der letzten dreissig Jahre von 69,2 auf 79,1 stieg, der Erwachsenen-Bildungsstand um 3,3 Jahre zunahm und das Brutto Prokopfeinkommen von 5.166 auf 13.329 US-Dollar fast verdreifacht wurde, ist Verdienst der Umverteilungspolitik der oppositionellen Concertación, die Chile in der post-Pinochet-Ära zwanzig Jahre lang regierte.
Der UN-Report hat nämlich einen Haken, und der ist die Achilles-Verse Piñeras, wie auch Rousseffs und Fernández de Kirchners: Brutto-Prokopf-Berechnungen sagen garnichts über den effektiven sozialen Wohlstand aus, weshalb die UN seit zwei Jahren den Gini-Indikator für soziale Ungleichheit verwendet. Demnach rangieren Costa Rica und Uruguay als die am wenigsten ungleichen Länder Lateinamerikas, während Chile elf Positionen hinter den bisherigen Rang 19 zurückfiel. Warum? Nie zuvor in der Geschichte Chiles wurde soviel Reichtum erwirtschaftet und ungleich verteilt, die Einkommenschere zwischen Arm und Reich vergrösserte sich um 32 Prozent.
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