Während der Argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983 wurde Argentinien von einer Junta aus Generälen regiert, deren personelle Zusammensetzung mehrfach wechselte. Während das rechtsgerichtete, autoritäre und ultranationalistische Militärregime regierte, kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen mit Staatsterror und Gegenterror von Seiten der linken Guerillaorganisationen Montoneros und ERP, sowie gegen Ende zu einer tiefen Wirtschaftskrise und dem verlorenen Falklandkrieg. Der offizielle Bericht der Opfer der Militärjunta spricht von fast 20.000 Vermissten, Menschenrechtsorganisationen berichten von 30.000 Verschwundenen. Laut einem argentinischen Team für Forensische Anthropologie wurden bisher nur knapp über 500 Leichen gefunden, der Rest wird immer noch vermisst.
Etwa 200 Kilometer nördlich von Buenos Aires befindet sich das Paraná Delta, welches das Ende des zweitlängsten Flusses (3.998 Kilometer) in Südamerika markiert. Der Río Paraná entspringt in Brasilien durch den Zusammenfluss des Paranaíba und des Rio Grande, durchquert auf seinen letzten 500 Kilometern Argentinien, wobei er in Richtung seiner Mündung immer sumpfigeres Gebiet durchfließt. Das „Paraná Delta Biosphere Reservat“ wurde im Jahr 2000 zum Naturschutzgebiet erklärt und könnte nach neusten Forschungsergebnissen ein grausames Geheimnis bergen.
Argentiniens Gesellschaft quält ein Thema seit Jahrzehnten: Wo sind die Vermissten der letzten Militärregierung? Das kürzlich erschienene Buch (EL LUGAR PERFECTO) des argentinischen Journalisten Fabián Magnotta könnte eine Antwort bieten. Laut seiner Hypothese, die sich auf zahlreiche unveröffentlichte Dokumente bezieht, soll das Paraná Delta ein riesiges Massengrab sein. Gemeinsam mit Einheimischen tourte Magiotta durch das riesige Gebiet, überflog das Delta mit dem Flugzeug. Der Fluss ist an einigen Stellen 60 Meter tief, riesige Schilfgebiete könnten einen Körper innerhalb weniger Sekunden absorbieren. Ebenfalls gibt es ausgedehnte und undurchdringliche Bergregionen, wo ein menschlicher Körper leicht „verschwinden“ kann.
„Ich erinnere mich an Leichen entlang des Rio Grande (ein Arm des Paraná-Delta), die aus Flugzeugen geworfen wurden. Ich erinnere mich, wie Hubschrauber oder Flugzeuge Klumpen abwarfen. Sie öffneten einfach die Luke und warfen Gegenstände ab. Ich öffnete mehrere dieser Pakete und in jedem befand sich ein lebloser Körper“, gab der pensionierte Mechaniker Mark Queipo in einem Interview mit „BBC“ bekannt. „Bei den Toten handelte es sich um überwiegend junge Menschen, viele hatten gefesselte Hände“, fügte er hinzu.
Magiotta recherchierte, dass diese Flugzeuge besonders in den frühen Jahren der Militärdiktatur (1976-1978) das Gebiet täglich überflogen und sich dabei ihrer „Fracht“ entledigten. Derzeit läuft eine Studie, die diese „Todesflüge“ untersuchen und aufklären soll. Sieben ehemalige Beamte der Marineschule ESMA (Escuela de Mecánica de la Armada), darunter mehrere Ex-Piloten, werden von den Behörden festgehalten. Alle bestreiten, etwas mit den Vorwürfen zu tun zu haben.
In seinem Buch stellt Magnotta eine Verbindung zwischen dem Delta und der ESMA her. Der Journalist hat Jahre gebraucht, um die Zurückhaltung der Einheimischen zu überwinden. Weitgehend half ein Freund vor Ort, dessen Rolle er als entscheidend bezeichnet. Ein weiterer Faktor für die Verschwiegenheit der Einheimischen und vielleicht der wichtigste: Angst seitens des Militärs. Queipo will nach eigenen Worte sofort die Polizei darüber informiert haben, dass unzählige Körper im Rio Grande trieben. ‚“Mund halten, oder Dir passiert das selbe“, erinnert er sich. Nach dem Putsch vom 24. März 1976 waren die meisten der Polizisten vom Militär übernommen worden.
Inzwischen brach die Zurückhaltung der Einheimischen und sie teilten Magnotta mit, dass sie Leichen in den Bäumen hängen sahen, einige Körper sollen nach dem Abwurf sogar die Dächer ihrer Behausungen durchschlagen haben. „Die Einheimischen am Paraná Delta waren ein Opfer der Diktatur. Über Jahre mussten sie den Tod aus dem Himmel ertragen – er war für sie zum Alltag geworden“, so Magnotta.
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