Nach Tagen der Lethargie und Spannung durch die Wahlen vom vergangenen Sonntag (14.) scheint Venezuelas Hauptstadt Caracas sein normales Tempo des Lebens wiederzuerlangen. Der Verkehr hat zu seiner traditionellen Schwere zurückgefunden, der Alltag scheint zurückzukehren. Allerdings gibt es viele Hinweise darauf, dass nicht alles normal ist. Die politische Krise, ausgelöst durch die Forderung der Opposition auf 100%-ige Neuauszählung der Stimmen, schafft viel Erwartung.
Es gibt viele Gerüchte über Zusammenstöße zwischen Chavistas und Anhängern von Capriles. Nach Regierungsangaben ist die Zahl der Toten nach den Ausschreitungen vom Montag (15.) auf acht gestiegen. Am Mittwoch (17.) sei eine 44-jährige Frau ihren Verletzungen erlegen. Zwei der Opfer seien im Bundesstaat Miranda zu beklagen, drei in Zulia, zwei in Táchira und eines in Sucre. Alle Opfer waren nach offiziellen Verlautbarungen Anhänger der sozialistischen Regierung unter Nicolás Maduro, verantwortlich für die Todesfälle sei der “antichavistische Exkandidat” Henrique Capriles, der nach seiner Wahlniederlage zu den “Gewalttaten” aufgerufen habe.
Diese Angaben sind mit Vorsicht zu genießen. Ganz Venezuela leidet unter ausufernder Kriminalität, Caracas ist eine der gefährlichsten Städte der Welt. Jede halbe Stunde wird ein Mensch ermordet, nicht erst seit dem Wahlsonntag. Fotos von angeblichen Zusammenstössen, Brandanschlägen und Vernichtung von Wahlunterlagen, sind zum Teil aus vergangenen Jahren und werden nun wieder hevorgeholt.
Regierung und Opposition befinden sich in einem endlosen Austausch von Beschuldigungen und Dementis, jeder macht die Gegenseite verantwortlich. Dem Besucher von Caracas begegnet offene Nervosität, die im Moment noch mühsam unterdrückt wird.
Die Plaza Altamira, seit Jahren das Symbol der venezolanischen Opposition, zeugt von zur Schau gestellter Ruhe. Viele Menschen laufen in Richtung der U-Bahn-Station, andere machen eine Pause auf den zahlreichen Bänken. Eine kleine Gruppe Jugendlicher, ausgerüstet mit Trillerpfeifen und wehenden venezolanischen Fahnen, hat den Befehl von Capriles missachtet. Der Oppositionsführer hatte seine Anhänger gebeten nicht durch die Strassen zu ziehen, um Provokationen durch die Regierung zu vermeiden.
„Ich bin Caprilista, aber vor allem bin ich Venezolaner. 14 Jahre Diktatur sind genug, wir lassen uns die Schikane durch die Regierung nich mehr länger bieten“, erklärt der Anführer der Gruppe, Luis Rodriguez. Er erinnert an den „Arabischen Frühling“ und sieht es als dringend notwendig an, die “ Straße zu aktivieren“. Abgesehen von gelegentlichen Hupen oder Grüße der Solidarität durch die eine oder andere Lichthupe eines vorbeifahrenden Autos kann er allerdings nicht das Interesse der Menschen wecken. Die Gruppe versucht vergeblich, den Protest vom Montag wiederzubeleben .
An dieser Stelle würde niemand denken, dass das Land vor einer komplexen und potenziell gefährlichen politischen Krise steht.
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