Die Proteste in Brasilien haben nachgelassen. Für Präsidentin Dilma Rousseff stellt sich trotzdem die Frage, wie sie mit den Forderungen der Protestierenden umgehen will. Gemäss Politikwissenschaftlerin Yanina Welp, Regionaldirektorin für Lateinamerika am Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA), steht die brasilianische Präsidentin vor mehreren Problemen.
Einerseits stossen die von ihr angestrebten politischen Reformen nicht nur bei den Oppositionsparteien, sondern zum Teil auch bei Koalitionspartnern und ihrer eigenen Arbeiterpartei auf Ablehnung. Gleichzeitig wehren sich regionale Politiker (Gouverneure und Parlamentarier der Regionen) gegen die Pläne, weil sei Einschränkungen ihrer Macht befürchten.
Die von Präsidentin Dilma Rousseff in Aussicht gestellten politischen Reformen (u.a. Korruptionsbekämpfung/Wahlrechtsreform) im Sinne einer Verfassungsreform, die dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird, haben die Protestierenden bisher nicht zu überzeugen vermocht.
Reformen oder Beruhigung
Yanina Welp sieht in der gegenwärtigen Situation zwei mögliche Szenarien für Präsidentin Dilma Rousseff: Sie kann die Proteste auf der Strasse als Unterstützung ihrer Anliegen nutzen, indem sie von ihren politischen Gegnern umso eindringlicher Reformen fordert. Die Alternative dazu ist gemäss Welp, dass sich Rousseff dem Druck der Reformgegner beugt und die Bevölkerung mit gewissen Verbesserungen der Lebensbedingungen zu beruhigen versucht. Die in den vergangenen Tagen angekündigten Massnahmen der brasilianischen Regierung etwa zur Verbesserung des Gesundheitswesens deuten in diese Richtung.
Ohne echte politische Reformen läuft die repräsentative Demokratie Brasiliens aber gemäss Yanina Welp Gefahr, noch weiter in die Krise zu stürzen. Die Politikwissenschaftlerin rechnet in diesem Fall mit noch umfangreicheren Protestaktionen auf der Strasse.
Protestformen in Lateinamerika
Die politische Situation in Brasilien unterscheidet sich gemäss Welp von derjenigen in anderen lateinamerikanischen Ländern. In Venezuela werden Protestaktionen durch Oppositionsparteien organisiert. Die Proteste in Peru und Paraguay in den vergangenen Jahren wandten sich in erste Linie gegen Missstände wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit. In Brasilien werden die Proteste vor allem von der Mittelschicht getragen, die mit dem Wirtschaftswachstum erstarkt ist. Die Demonstrierenden forderten in den vergangenen Wochen nicht nur bessere Lebensbedingungen wie bezahlbare öffentliche Verkehrsmittel, sondern auch grundlegende politische Reformen. Die Proteste richten sich dabei nicht gegen Dilma Rousseff als Person, sondern gegen ein politisches System, das von Korruption durchdrungen ist.
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