Nach dem Abitur die Welt entdecken, Erfahrungen sammeln, andere Kulturen kennenlernen, etwas Hilfreiches für andere tun – all das können Beweggründe für einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst sein. Ein Jahr lang arbeitete Ylva Steinberg aus Kiel als Freiwillige in Guatemala. Vor kurzem ist sie zurückgekehrt und berichtet von ihrem Einsatz im Süden der Halbinsel Yucatán.
„Chigourron, Chigourron, der Bus ist ganz leer!“ ruft der Bushelfer, als der ausgemusterte US-amerikanische Schulbus anfährt. „Kommen Sie, gaaanz leer!“ und noch eine Frau mit großem Korb voller Einkäufe auf dem Kopf kommt herbei gelaufen und wird vom Helfer professionell in den schon völlig überfüllten Bus gequetscht. Der Korb kommt aufs Dach, aber keine Angst: sicherer Transport von Kunden und Gepäck ist Ehrensache! Ich stehe irgendwo mitten im Bus, halte mich mit beiden Händen fest und den Kopf gebeugt – alle außer mir können aufrecht stehen. Ein paar Kinder flüstern mit ihren Müttern auf Pokomchí, ich verstehe nur die Hälfte und vielmehr die neugierigen, ehrfürchtigen Blicke.
Als „Weiße“ blicken viele zu einem auf, nicht nur physisch. Viele Menschen halten uns für sehr viel fähiger und intelligenter und reicher als sich selbst, was nicht selten zu Missverständnissen führt. OK, das mit dem Geld stimmt. Deutsche sind generell sehr viel reicher als Guatemalteken, jedenfalls finanziell – aber ob das auch kulturell und menschlich gilt?
Der Bus schlingert über die nicht geteerte Straße, ich muss mich gut festhalten. Eine ältere, unglaublich kleine Frau in typischer Tracht verliert den Halt, rutscht auf mich zu und schaut dann entschuldigend hoch, als sie meinen Bauch umarmt. Als ich vor fast einem Jahr hier in San Cristóbal Verapaz ankam, war ich wie ein Baby, ein Neugierde erregendes, aber noch unproduktives Mitglied der Gemeinschaft. Alles war neu: Die Farbigkeit der Häuser und Kleidung, die Gerüche, Sprachen, das Klima, das Essen. Bewusst war ich mit wenigen Erwartungen gekommen und saugte wie ein Schwamm alles Neue in mich auf.
Gastfreundlich und mit viel Geduld wurde ich in meiner Gastfamilie und an meinem Arbeitsplatz angenommen. Quasi ohne Spanisch-, geschweige denn Pokomchí-Kenntnisse, manchmal unsensibel mit der Kultur, aber wissbegierig und mit vielen Fragen. Viel weniger war ich fähig zu dem, was das Leben der Pokomchí-Maya ausmacht, die hier die Bevölkerungsmehrheit bilden. Sie sind eine der 22 Mayakulturen Guatemalas, mit ihrer eigenen Sprache, Kleidung und Bräuchen.
Inzwischen spreche ich leidlich ihre Sprache – und dass einige nur leidlich Spanisch sprechen, bewahrt mich nicht davor, mich dafür zu schämen – Lasten auf dem Kopf balancieren, weben, Tortillas machen oder Wäsche per Hand waschen fällt mir sehr schwer. Völlig lebens-untauglich also, und trotzdem begegnet man mir offen und respektvoll.
Durch die Freiwilligenvermittlung Proyecto Mosaico zumindest ein bisschen vorbereitet auf das noch vom Bürgerkrieg traumatisierte Land, lebte ich mich schnell ein. Zuvor hatte ich mich mit Unterstützung von VoluNation über die Möglichkeiten informiert, sich im Ausland freiwillig zu engagieren. Da ich gerade erst Abitur gemacht hatte, stand ich ohne besondere Spezialisierung da und musste mir meine Arbeit selbst suchen. Letztendlich habe ich viel Englisch unterrichtet, zwischenzeitig auch ein wenig Sport und Malen – vor allem in zwei Dorfschulen, aber auch in kleinen, lerninteressierten Gruppen. Natürlich kann man Mittelstufenschülern in einem Jahr mit einem Nachmittag pro Woche keine Basiskenntnisse in Englisch vermitteln. Aber mit null Erfahrung und viel Euphorie fing ich einfach an und es machte allen Spaß. Für die Lehrerinnen war es eine kleine Entlastung, da sie 60 – 70 Schüler (drei Klassen) allein unterrichten und verwalten müssen.
Es ist heiß, der Bus wird immer voller und jetzt quetscht sich der Helfer nach und nach bis nach zu allen hindurch, um das Fahrtgeld zu verlangen. Es ist das Land des ewigen Frühlings, für Norddeutsche aber eher des ewigen Sommers. Hier wachsen so ziemlich alle Früchte, die bei uns nicht wachsen und natürlich ist das Essen sehr anders. Je nach Vermögen werden dreimal täglich verschiedene Bohnen mit Tortillas gegessen, manchmal auch Suppe. Wer es sich leisten kann, isst natürlich auch Nudeln, mehr Gemüse, Brot zum Kaffee und viel Fleisch. Interessanterweise ist Essen von Fastfoodketten hier genauso teuer wie bei uns, sodass es sich kaum jemand leisten kann – ich selbst kaufe mir eher im Park gegrilltes Fleisch mit Beilagen (Q10), einen Tee (Q1) und zum Nachtisch Milchreis (Q1), als ein kleines Burger-Menu für Q35!
Sehr gerne und schnell habe ich mich an das Essen hier gewöhnt, vor allem die riesige Auswahl frischer exotischer Früchte und frische Tortillas vermisse ich auf Reisen sehr.
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