Die Pharmaindustrie benötigt für Medikamententests der Zukunft pluripotente Stammzellen in großen Mengen. Diese Stammzellen haben das Potenzial, sich in beliebige Körperzellen umzuwandeln – zum Beispiel in Zellen der inneren Organe. In Biobanken entstehen gerade viele tausende Stammzelllinien unterschiedlichster Patienten. Mediziner erhalten dort perfekte Modelle der genetischen Krankheiten dieser Patienten. An den Stammzellen können Ärzte und Pharmaunternehmen neue Medikamente besser und schneller als bisher testen.
Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT in Sulzbach haben Algen aus Chile als besonders effiziente Nährquelle für die Vermehrung pluripotenter Stammzellen identifiziert. In den vergangenen Jahren haben sie einen kontrollierten und dokumentierten Herstellungsprozess für Alginat, das Stützgerüst der Algen, entwickelt. Der Prozess reicht von der Ernte der Algen an chilenischen Küsten und im chilenischen Meer über den Import der zum Granulat aufbereiteten und getrockneten Algen bis zur Produktion des Alginats und zur Verwendung in der Kultur pluripotenter Stammzellen am Institut im Saarland. Aktuell validieren britische Pharmafirmen den Prozess in ihren Laboren. »Im nächsten Jahr sind erste konkrete Versuche mit Partnern aus dem europäischen Verband der Pharmaunternehmen, EFPIA, geplant. Ziel ist es zu zeigen, dass wir mit dem Prozess stabil pluripotente Stammzellen produzieren können. Am Institut konnten wir das bereits für viele einzelne Stammzelllinien nachweisen«, sagt Prof. Dr. Heiko Zimmermann, Institutsleiter am IBMT. Den Herstellungsprozess sowie die Technologieplattform haben die Fraunhofer-Wissenschaftler aus Sulzbach und deren Kollegen in Chile und Großbritannien gemeinsam entwickelt.
Alginat zweier chilenischer Algensorten besonders geeignet
Ausgangsmaterial sind zwei Algensorten, die an den Küsten Chiles wachsen: Lessonia trabeculata und Lessonia nigrescens. Das Stützskelett der Algen besteht aus Alginat, das sich besonders gut für die Stammzellkultivierung eignet: Es besteht aus einem stark wasserhaltigen Gel, ist aber zähflüssiger als Honig. Es ist, wenn man es mit Kalzium oder Barium vernetzt, zugleich stabil und flexibel – ähnlich wie Wackelpudding – und dabei durchlässig für Nährstoffe und wichtige Faktoren. »Zellen fühlen sich wie im Körper in elastischen dreidimensionalen Umgebungen besonders wohl. Genau diese Umgebung kann mit Alginat perfekt simuliert werden«, erklärt Prof. Zimmermann. Insbesondere für die regelmäßig kontrahierenden Herzmuskelzellen ist das eine ideale Umgebung. Die Wissenschaftler stellen die Elastizität durch die Mischung der Algenarten flexibel ein und produzieren das Alginat in Form von Kügelchen beliebiger Größe. »Denn unterschiedliche Zellen benötigen unterschiedliche Kulturbedingungen«, erklärt Prof. Zimmermann. »Gleichzeitig bringen wir Wirkstoffe in das Alginat ein und setzen sie kontrolliert frei.« Zum Beispiel Stoffe, die pluripotente Stammzellen in bestimmte Körperzellen umwandeln. »Zukünftig wird das Alginat nicht nur als passiver Nährboden fungieren, sondern auch aktiv das Wachstum der Stammzellen beeinflussen«, sagt Prof. Zimmermann. Ein weiterer Vorteil: Die elastische Biomasse hat keine Eigenfluoreszenz. Das ist für optische Analyseverfahren wichtig. »Die Stammzellen wachsen besser auf unserem Alginat, insbesondere auch in automatisierten Bioreaktoren. Sie lassen sich besser ausdifferenzieren – in gewünschte Körperzellen umwandeln – als auf Kunststoffuntergrund, der heute standardmäßig eingesetzt wird«, fasst Prof. Zimmermann zusammen.
Das Ernten der Algen wird streng kontrolliert: Es gibt spezielle Lizenzen für die chilenischen Fischer; sie ernten nur diejenigen Algen, die sich für die Herstellung des Alginats eignen und nur so viel, dass eine nachhaltige Bewirtschaftung der chilenischen Küste ermöglicht wird. In einem vom IBMT und von Fraunhofer Chile betriebenen Labor an der Universität Coquimbo werden die Algen einzeln geschält, zerkleinert und vollständig getrocknet. Das geschieht innerhalb von 24 Stunden, so dass das Material nicht verunreinigt wird. Das Algengranulat wird dann nach Deutschland importiert: Im Reinraum am IBMT lösen die Wissenschaftler das Alginat heraus. Es liegt dann in flüssiger Form vor und kann mit Hilfe eines starken Luftstrahls zu Kügelchen geformt werden. »In einem Bariumbad werden die Kügelchen stabiler gemacht, denn Barium verbleibt besser in der Algenmasse. Die Kunst ist es, das Material stabil, aber nicht zu hart zu machen«, sagt Prof. Zimmermann.
Die Forscher geben das mit Proteinen beschichtete Alginat in einen Bioreaktor. Dieser stellt die optimale Temperatur und CO2-Umgebung bereit und rührt Nährstoffe sowie Zellen kontinuierlich um. Jedes einzelne, etwa 200 Mikrometer große Alginatkügelchen übernimmt dabei die Rolle einer Petrischale. Die Stammzellen bewachsen das Alginat in drei bis sieben Tagen in den Behältern und vermehren sich dabei. »Die Alginatmengen in den Reaktoren lassen sich leicht erhöhen. Die Folge: Pluripotente Stammzellen wachsen auf weniger Raum und in größerer Zahl«, sagt Prof. Zimmermann.
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