Die Wirtschaftskrise hat das südamerikanische Land Brasilien fest im Griff. Unter der Regierung der ihres Amtes enthobenen Dilma Rousseff gingen im größten Land Lateinamerikas alleine im vergangenen Jahr 1.510.000 formale Arbeitsplätze verloren, gleichzeitig sank das durchschnittliche Gehalt eines Arbeiters zwischen 2014 und 2015 um 2,56 Prozent auf 2.655 Reais (815 US-Dollar). Der Abbau von Arbeitsplätzen ist einer der Höhepunkte der wirtschaftlichen Rezession in Brasilien, dessen Wirtschaft im Jahr 2015 um 3,8 Prozent schrumpfte und in diesem Jahr um voraussichtlich 3,2 Prozent zurückgehen wird. Gleichzeit wird für Ende des laufenden Jahres mit einer Inflation von 10,67 Prozent gerechnet. Ende Juli lag die Arbeitslosigkeit bei 11,6 Prozent (11,8 Millionen), die höchste Rate seit 2012. Das Einkaufsverhalten der Bevölkerung findet allerdings nach dem Motto statt: Heute genießen und nicht an morgen denken. Deshalb wird bevorzugt auf Raten gekauft – selbst Schuhe für umgerechnet fünf US-Dollar können „bequem“ in zwölf Raten gezahlt werden. Die Konsumenten achten beim Kauf eines Produkts nicht so sehr auf den dann letztendlich fast doppelt so hohen Endpreis, vielmehr rechnen sie, ob sie sich die monatlichen Raten leisten können und der gewünschte Gegenstand ins Budget passt. Inzwischen kehrt Ernüchterung ein. Millionen Bürger, die in den letzten Jahren der Armut entfliehen konnten, wurden von der Realität eingeholt und wieder in die Armut zurück katapultiert. Davon profitieren auch brasilianische Echthaar-Perücken Hersteller, die sich vor Angeboten kaum retten können. Um ihre Verbindlichkeiten begleichen zu können, opfern immer mehr Frauen ihre Haarpracht.
In Brasilien ist es nicht unüblich, dass Frauen ihre Haare auf dem Markt verkaufen. Für Echthaar gibt es eine Menge von Abnehmern, die die Haare auf verschiedene Arten weiterverarbeiten und der Verkäuferin je nach Länge ihres Zopfes eine stolze Summe von bis zu 1.500 US-Dollar zahlen. In São Paulo, wo sich die beiden wichtigsten Unternehmen für die Herstellung von Perücken aus menschlichem Haar befinden, erscheinen täglich bis zu zehn Frauen persönlich, um ihr Kopfhaar zu verkaufen. 90% von ihnen geben an, dass sie in großer Geldnot sind und Rechnungen für Licht Wasser, Bankkredite oder Kreditkarte bezahlen müssen. Daten der Behörden belegen, dass es in Brasilien fast 60 Millionen säumige Schuldner gibt. „In keiner vorherigen Krise hat es so viele Menschen wie in diesem Jahr gegeben, die ihre Haare verkaufen. Inzwischen kommen sie sogar direkt in die Fabrik“, bestätigt Nilta Murcelli, einer der Pioniere bei der Herstellung von Perücken mit menschlichem Haar in São Paulo. Er berichtet von Frauen, die die ganze Nacht von Minas Gerais oder anderen Bundesstaaten in die Mega-Metropole unterwegs sind, um weinend ihre Haare anzubieten.
Die 41-Jährige Eliana Claudia Reis war stolz auf ihre langen Haare, die 15 Jahre nicht geschnitten und nur an den Spitzen getrimmt wurden. Ihr monatliches Einkommen von etwa 500 US-Dollar reicht bei weitem nicht mehr aus, ihre angehäuften Schulden zu tilgen. Die Rezeptionistin ist im Schulden-Schneeballsystem gefangen und kann vor Angst und Sorge nicht mehr schlafen. „Ich habe in der Vergangenheit immer meine Home-Shopping-Karte verwendet und in Raten gezahlt. Mein Mann ist seit drei Monaten arbeitslos, die Kredite fressen uns auf. Nun muss ich mein Haar verkaufen – für uns die einzige Lösung“, klagt Eiliana.
Not macht erfinderisch und um sich vor dem finanziellen Ersticken zu retten, bieten die Verkäufer ihre Haare auch per Foto über WhatsApp bei sogenannten „Haar-Brokern“ an. Laut den Verarbeitern sind blonde Haare am wertvollsten. Für 50 oder 60 Zentimeter lange Strähnen werden bis zu 400 US-Dollar bezahlt, der Preis hängt von der Einschätzung der Fachleute ab. Der Markt wächst unaufhörlich, inzwischen gibt es für den menschlichen Rohstoff sogar „reisende Agenten für Haare“. In den angesagten Boutiquen kostet die Perücke aus Menschenhaar bis zu 3.000 US-Dollar, der Export in Länder wie Italien oder den USA boomt.
Dieser Bericht beschreibt geanu die Lage in Brasilien, das Leben von Hand in den Mund.