„Teflon-Temer“: Die Kunst des politischen Überlebens

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Temer verdient sich auch einen Platz in den Geschichtsbüchern als Präsident, der rücksichtslos alle verfügbaren Tricks nutzte, um einen Prozess zu vermeiden und dies zu einer Zeit, als Brasilien seinen Kampf gegen die Korruption verstärkte (Foto: Archiv)
Datum: 26. Oktober 2017
Uhrzeit: 15:12 Uhr
Leserecho: 2 Kommentare
Autor: Redaktion
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Brasiliens Spitzenjob ist keine leichte Aufgabe in einem Land, in dem zwei Präsidenten in den vergangenen drei Jahrzehnten angeklagt wurden und einige der mächtigsten Männer in Wirtschaft und Politik derzeit hinter schwedischen Gardinen sitzen. Michel Temer, der im vergangenen Jahr überraschend Staatsoberhaupt der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas geworden ist, scheint allerdings ein besonderes Talent zu besitzen. Am Mittwoch (25.) scheiterte die Staatsanwaltschaft zum zweiten Mal, den 77-jährigen vor Gericht zu bringen. „Teflon-Temer“ konnte im Unterhaus des Kongresses 251 Stimmen der Abgeordneten (233 Gegenstimmen) für sich verbuchen und so eine Korruptionsuntersuchung beenden, die ihn gezwungen hätte, sofort für mindestens sechs Monate zurückzutreten. Es war nicht das erste Mal, dass er seine „Mitpolitiker“ davon überzeugen konnte, ihn zu schonen. Im August hatte er eine ähnliche Abstimmung „überlebt“.

Überall in Lateinamerika klammern sich die Parteien mit fragwürdigen Tricks an die Macht. Isoliert von der Bevölkerung versucht die politische Elite, durch allerlei Tricks ihr Überleben zu sichern. In Bolivien hält sich Staatspräsident Evo Morales für unersetzlich. Obwohl die Verfassung eine weitere Kandidatur am Ende seiner Amtszeit 2019 verbietet, liebäugelt der erste indigene Präsident Lateinamerikas mit einer erneuten Kandidatur. In Venezuela herrscht ein autoritärer Caudillo, der kurzerhand die Demokratie abgeschafft und eine linksradikale Diktatur installiert hat.

Temer, studierter Rechtswissenschaftler und Sohn einer libanesischen Familie die 1925 nach Brasilien auswanderte, ist nicht der erste Präsident in der brasilianischen Geschichte, gegen den Anklage erhoben wird während er das höchste Amt innehat. Die Anschuldigungen gegen ihn sind ernst. Ihm wird vorgeworfen, Chef einer kriminellen Vereinigung zu sein und die Justiz behindern zu wollen. Laut Staatsanwaltschaft soll seine Fraktion über 587 Millionen Reais (180 Millionen US-Dollar) von staatlichen Institutionen wie Petrobras und der staatlichen Lotterie in die Taschen der Gesetzgeber „umgeleitet“ haben. Ebenfalls wird er beschuldigt, den Milliardär Joesley Batista (Insiderhandel) unter Druck gesetzt zu haben und sich das Schweigen von zwei Kronzeugen, die mit Ermittlern aus dem Gefängnis kooperierten, zu kaufen.

Temer hat alle Behauptungen/Verdächtigungen bestritten. Nach seiner Meinung ist er das Opfer von „Putschisten“, die ihn aus dem Amt entfernen wollen. Ironischerweise waren dies die selben Worte, die Amtsvorgängerin Dilma Rousseff hinsichtlich von Anschuldigungen der illegalen Manipulation von Regierungskonten gebrauchte. Rousseff wurde allerdings letztes Jahr angeklagt. Der Bundessenat suspendierte sie am 12. Mai 2016 für sechs Monate von ihrem Amt und beschloss am 31. August 2016 ihre Amtsenthebung. Ihr Nachfolger erweist sich als weit mehr begabter in der Kunst des politischen Überlebens. Zum einen hilft ihm die Wirtschaft. Während „Dilma“ auf dem Höhepunkt der schwersten Rezession Brasiliens in der Geschichte ihr Amt verließ, zeigt das Land nun leichte Erholungstendenzen.

Es handelt sich um eine Umkehrung, für die Temer auch international die volle Anerkennung erhält. Während er sich in Brasília bemerkenswert stark in den Korridoren der Macht bewegt, deuten Umfragen darauf hin, dass er die schlechtesten Zustimmungswerte in der Geschichte hat. Obwohl seine Zustimmung bei der Bevölkerung bei weit unter zehn Prozent liegt, gibt es keine Proteste von der Größe, die Rousseff erfahren hat. Politikwissenschaftler bezeichnen die brasilianische Gesellschaft heute als „desillusioniert und demobilisiert“. Es scheint als hätten sie sich damit zufrieden gegeben, Dilma einfach loszuwerden. Zudem versteht die breite Gesellschaft die Auswirkungen von Wahlsystemen und die Tragweite von Wahlkampffinanzierung meistens nicht.

Als Temer vor 17 Monaten an die Macht kam, versprach er, Brasilien aus der Rezession zu holen und in eine neue Zukunft zu führen. Er kann dieses Ziel erreichen, wenn sich die gegenwärtige bescheidene wirtschaftliche Erholung als dauerhaft erweist. Allerdings verdient er sich auch einen Platz in den Geschichtsbüchern als Präsident, der rücksichtslos alle verfügbaren Tricks nutzte, um einen Prozess zu vermeiden und dies zu einer Zeit, als Brasilien seinen Kampf gegen die Korruption verstärkte.

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  1. 1
    Robert

    Man ist kein Verschwörungstheoretiker wenn man behauptet, dass Personen innerhalb der poltischen Machstrukturen in einem perfiden Machtgeflecht agieren. Im Verlauf der poltische Karriere werden Netzwerke geknüpft und Wissen gesammelt dass Jeden jederzeit genausos zum Verhängnis werden kann wie es auch zur Karriere verholfen hat. Jeder hat in seiner Position Wissen über jede andere Person gesammelt und im „Giftschrank“ dass ihn im optimalem Fall schützt. Wenn ein Senator oder Staatsanwalt einem zu nahe rückt hat man im Besten Fall ein Dossier über dessen „kleine und große Sünden“ gesammelt dass man ihm vor die Nase hält. Das ist nicht nur bei „Game of Thrones“ oder in BR so sondern bestimmt auch in Deutschland – wenn auch subtiler.

    • Wo immer Menschen sich in Gruppen organisieren, ist das so. Ob Firmen oder Fussballclubs, Politik oder Religion, überall haben die Sorte von Intriganten das Sagen, die am besten die Hintern der Oberen lecken, ihren eigenen Sessel verteidigen und an den anderer Sägen. Das geht schon los in den Vorständen von Karnickelzuchtvereinen und ist im Vatikan nicht anders.

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