Können Tiere vor Erdbeben warnen? Über diese Frage wird seit Jahrzehnten gestritten. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Berichte von Hühnern, Schafen oder Hunden, die sich vor einem Beben merkwürdig verhielten. Auf der anderen Seite gibt es viele Erdbeben, vor denen solche Auffälligkeiten von Lebewesen gerade nicht beobachtet wurden. Und überhaupt: Der genaue Zeitpunkt eines solchen Ereignisses ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren abhängig und lässt sich nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft wohl niemals exakt vorhersagen. Wie sollten also gewöhnliche Haus- und Wildtiere dazu in der Lage sein?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam ließ diese Frage keine Ruhe. „Die Berichte über auffälliges Verhalten sind zahlreich, doch es könnte auch andere Ursachen haben“, sagt Heiko Woith. „Wir haben deshalb 180 entsprechende Studien genauer angeschaut und untersucht, ob es einen statistischen Zusammenhang zwischen der seismischen Aktivität und dem Verhalten von Tieren gibt.“ Diese erste umfangreiche statistische Analyse erscheint jetzt im Fachjournal „Bulletin of the Seismological Society of America“.
In die Analyse gingen mehr als 700 Beobachtungen auffälligen Verhaltens ein, die bei 160 Erdbeben gemacht wurden und mehr als 130 Arten betreffen – von Schafen über Ziegen bis hin zu Schlangen und Fischen. Die Berichte stammen aus zwei Dutzend Ländern, wobei die meisten aus Neuseeland, Japan, Italien und Taiwan kommen.
Das Team um Woith hat unter anderem den Effekt von Vorbeben untersucht: merkliche Erschütterungen, die bei etwa jedem zehnten Erdbeben Tage oder gar Wochen vorher auftreten. Sie zogen Daten eines Erdbebenkatalogs (ISC-GEM) heran, der weltweit alle Beben mit einer Magnitude von M 5.6 und mehr in den Jahren von 2000 bis 2012 verzeichnet. „Wir haben angenommen, dass entsprechende Erschütterungen in einer Entfernung von 100 Kilometern für Tieren spürbar sind“, sagt Woith. „Dann haben wir für alle Erdbeben ab Magnitude 6 untersucht, ob es in diesem Umkreis und binnen 60 Tagen Vorbeben gab.“ Das Ergebnis: Bei 16 Prozent der Hauptbeben gab es diese Vorbeben binnen 60 Tagen. Nur einen Tag vorher wurden solche Vorboten in 7 Prozent der Fälle registriert, eine Stunde vorher in 3 Prozent der Fälle. „Diese Verteilung in Raum und Zeit ist ähnlich der Verteilung von Auffälligkeiten im Verhalten von Tieren“, sagt Woith. „Wir gehen davon aus, dass zumindest ein Teil der Fälle, wo Tiere als Erdbeben-Warner gehandelt werden, als Reaktion auf Vorbeben zu verstehen sind.“
Weitere Aussagen seien jedoch sehr schwierig. Ein Grund ist, dass die Daten sehr heterogen sind. Die beschriebenen Beobachtungen sind oftmals anekdotisch und für eine solide wissenschaftliche Untersuchung ungeeignet. Hinzu kommt, dass auch andere Zusammenhänge zwischen Erdbeben und dem Verhalten von Tieren diskutiert werden, etwa Reaktionen auf Ausgasungen. „Man darf nicht vergessen, dass es etliche Erdbeben gibt, die sich weder durch Vorbeben noch durch andere Anzeichen ankündigen, sondern wörtlich spontan auftreten“, ergänzt der GFZ-Forscher. Dennoch sei es eine interessante Forschungsfrage, ob Tiere als Erdbebenwarner genutzt werden könnten. Die Erfolgsaussichten seien nach bisherigem Stand der Wissenschaft jedoch nicht zu groß, meint Woith: „Eine treffsichere Vorhersage zu Ort, Magnitude und Zeitpunkt eines Bebens erscheint nach allem, was wir wissen, nicht möglich zu sein. Und auch die zuverlässige Frühwarnung anhand von Vorbeben oder Gasaustritten aus dem Untergrund ist mit sehr vielen Unsicherheiten behaftet und bislang auch mit den modernsten Sensoren nicht gelungen.“
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