Nur wenige Brasilianer kennen und verstehen ihren größten Handelspartner und Investor. Aber die Chinesen wissen fast alles über Brasilien. Dies ist eine riskante Situation, die zu einer Beziehung wie der Kolonialzeit führen kann. In nur einem Jahrzehnt hat nicht nur die Präsenz chinesischer Journalisten in Brasilien und ihr Wissen über das Land enorm zugenommen. Chinas Diplomaten, Geschäftsleute und Banker haben seit einigen Jahren eine stetig wachsende Präsenz im größten Land Lateinamerikas. Unbemerkt besetzten chinesische Staatsbanken ganze Gebäude in einem wichtigen Finanzzentrum in São Paulo, der Avenida Brigadeiro Faria Lima.
Im vergangenen Jahr sind chinesische Unternehmen mit Investitionen von rund 10 Milliarden US-Dollar in den brasilianischen Energiesektor eingestiegen. Das chinesische Unternehmen CTG (China Three Gorges) ist heute Brasiliens größter privater Stromerzeuger. Chinas Staatsunternehmen investieren aktuell mehr in Brasilien als in anderen südamerikanischen Ländern: Häfen, Beteiligungen an Bergbau- und Ölgesellschaften, Stadt- und Fernbahnen werden zunehmend aus Fernost kontrolliert. China hat einen klaren Plan, eine Risikobereitschaft, großes Wissen in aufstrebenden Märkten und praktisch unbegrenztes Kapital.
China verfolgt eine Strategie: Seine Unternehmen investieren direkt in die industrielle DNA Brasiliens. Wer die Stromnetze, die Autobahnen, die Eisenbahnen und vielleicht bald auch die Telefonnetze steuert, wird als Investor einen riesigen Vorteil haben, wenn es darum geht, Daten in Brasilien zu digitalisieren und zu übertragen. Die imposante Präsenz Chinas als neue Weltmacht füllt die Lücke, die die Vereinigten Staaten hinterlassen haben.
Aber abgesehen von einigen Experten bemerkt dies kaum jemand in Brasilien. Und es scheint, dass es niemanden interessiert. Im Allgemeinen ist das Wissen über China in Brasilien gering, verglichen mit der Tatsache, dass das Land sein wichtigster Handelspartner und Investor geworden ist. Dies gilt für Meinungsbildner in den Medien, Politik und Wirtschaft ebenso wie für die Behörden. Sehr wenige Unternehmer, Direktoren und Diplomaten kennen China, lebten dort oder sprechen Chinesisch. Die Presse hat dort keine Korrespondenten, im Außenministerium können Experten für China an den Fingern einer Hand gezählt werden. Man kann an mehreren Orten in Brasilien Chinesisch lernen, aber die Nachfrage ist gering.
Dieses mangelnde Wissen über China gilt auch für alle anderen Brasilianer. „Kaum jemand kennt einen chinesischen Sportler, Musiker oder Filmstar“, so Oliver Stünkel, Professor für internationale Beziehungen bei der Getúlio Vargas Foundation. Ihm zufolge haben die meisten Menschen in Lateinamerika keine Meinung über China, ob positiv oder negativ. In Bezug auf die Vereinigten Staaten ist die Situation völlig anders. Obwohl der Einfluss des Landes immer kleiner wird, hat fast jeder Brasilianer eine Meinung über den Nachbarn aus dem Norden.
Brasilien vergeudet wie so oft eine riesige Chance. Nur wenn Brasilien seinen Haupthandelspartner und -Investoren besser kennt und versteht, kann es verhindern, dass Beziehungen einseitig geführt werden – wie es früher mit den Kolonialmächten der Fall war und in einer bestimmten Zeit mit den Vereinigten Staaten. Mit China läuft Brasilien Gefahr, zum ewigen Rohstoff- und Konsumentenmarkt für industrialisierte Produkte zu werden – und China wird weiterhin im Zentrum der brasilianischen Wirtschaft stehen.
Super Artikel. Besteht die Möglichkeit des Artikelkaufs?
Alison de Sousa@xxxxxxxxxxxxcom
In der Tat sollte dieser exzellente Artikel, übersetzt ins Portugiesische, in Brasilien Verbreitung und Beachtung finden. Vor allem Schülern und Studenten sollte diese Informationen nahe gebracht werden.
Zu meiner Schande muß ich gestehen, auch ich kenne keinen chinesischen Sportler, Musiker oder Filmstar, und ich spreche auch nicht chinesisch. Allerdings ist für meine Firma China kein Exportmarkt, der Anteil chinesischer Kunden liegt im Promille Bereich, und jeder Versuch des Diebstahl von Technologie durch Chinesen konnte bislang im Keim erstickt werden. Noch reicht dort auch der Bildungsstand nicht aus, um damit viel anzufangen. Aber das wird nicht mehr lange so bleiben.
Was wissen denn wir in Europa über China…? Richtig, fast gar nichts, außer das es eine große Mauer gibt. Aber fragen sie mal die Leute auf der Straße wann diese gebaut wurde und von wem und zu welchem Zweck… ja ja….. Beim heiteren Rätselraten dürften die Brasilianer auch nicht viel schlechter abschneiden als die Europäer…