Brasilien: Opfer der Militärdiktatur erfährt Gerechtigkeit

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Inês Etienne Romeu konnte der Folter entfliehen (Foto: Nationale Wahrheitskommission)
Datum: 16. August 2019
Uhrzeit: 13:48 Uhr
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Autor: Redaktion
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Die Aussage der einzigen Überlebenden eines Folterzentrums in Brasilien könnte zur Inhaftierung eines Mannes führen, der beschuldigt wird, sie während ihrer Gefangenschaft vergewaltigt zu haben. Der Angeklagte wurde bisher durch ein Amnestiegesetz von 1979 geschützt, das verhindert, dass Militärbeamte wegen Verbrechen unter Militärherrschaft strafrechtlich verfolgt werden. Nun hat ein Gericht entschieden, dass der ehemalige Feldwebel Antônio Waneir Pinheiro de Lima wegen der angeblichen Vergewaltigung von Inês Etienne Romeu vor Gericht gestellt werden soll.

Mehr als 400 Menschen wurden während der brasilianischen Militärherrschaft getötet oder verschwanden und Frau Romeus detaillierter Bericht über ihre Monate in der Gefangenschaft im geheimen Gefängnis, genannt „House of Death“, war der Schlüssel, um Informationen über die Exzesse des Militärs ans Licht zu bringen. Die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Rio ermittelt bereits gegen den ehemaligen Feldwebel wegen Verbrechen, die er in den 1970er Jahren in einem Folterzentrum begangen haben soll. Sie versuchten ein Strafverfahren einzuleiten, aber ein Richter im Bundesstaat Rio argumentierte, dass Lima durch ein Amnestiegesetz geschützt sei.

Das Gesetz, das 1979 vom Militärregime verabschiedet und 2010 vom brasilianischen Obersten Gerichtshof bestätigt wurde, schützt diejenigen, die zwischen September 1961 und August 1979 „politische Verbrechen“ begangen haben, vor strafrechtlicher Verfolgung. Die Staatsanwaltschaft legte vor einem Bundesgericht Berufung gegen die Entscheidung des Richters ein. Am Mittwoch (14.) haben die Richter des Bundesgerichts mit zwei gegen einen dafür gestimmt, ein Strafverfahren gegen Lima zu eröffnen. Die Richter akzeptierten damit das Argument der Staatsanwaltschaft, dass die Verbrechen, die Lima vorgeworfen werfen (Vergewaltigung und Entführung) Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen und als solche vom Amnestiegesetz von 1979 nicht erfasst werden können. Diese Entscheidung könnte jedoch vom Obersten Gerichtshof aufgehoben werden.

Wessen wird Lima beschuldigt?

Lima wird verdächtigt, in einem Folterzentrum in der brasilianischen Stadt Petrópolis nördlich von Rio de Janeiro eine Links-Aktivistin entführt, gefoltert und vergewaltigt zu haben. Inês Etienne Romeu war die einzige Person, die das Folterzentrum lebendig verließ. Das Gebäude war ein geheimes Gefängnis, in dem linke Aktivisten versteckt und gefoltert wurden. Mindestens 22 politische Gefangene sollen dort getötet worden sein. Es gibt Hinweise darauf, dass britische Offiziere, die in den 1970er Jahren für das brasilianische Regime arbeiteten, den dort „Beschäftigten“ psychologische Befragungstechniken beigebracht haben.

Romeu war zwischen Mai und September 1971 festgenommen worden weil sie verdächtigt wurde, an der Entführung des Schweizer Botschafters Giovanni Enrico Bucher teilgenommen zu haben. Nach ihren Worten war sie während ihrer Gefangenschaft so schweren körperlichen und psychischen Folterungen ausgesetzt, dass sie dreimal versuchte sich umzubringen. Sie teilte auch mit, dass sie zweimal von Lima vergewaltigt wurde, der einer der Gefängniswärter im „House of Death“ war. Lima gab zu, dass er ein „Wächter“ im Folter-Zentrum war und bestritt, dass er irgendwelche Kenntnisse darüber hatte, was im Inneren des Hauses vor sich ging. Er wurde 2014 im Rahmen einer Untersuchung von Verbrechen aus der Zeit der Militärherrschaft festgenommen.

Als Romeu 1979 freigelassen und zu ihrer Schwester gebracht wurde, wog sie nur noch 32 Kilogramm und war schwer krank. Ihre Familie brachte sie ins Krankenhaus, wo sie wertvolle Informationen über das „Haus des Todes“ und die, die dort arbeiteten, bekannt gab. Es war den Details zu verdanken – die sie auswendig gelernt hatte – dass das illegale Folterzentrum lokalisiert und dass ein Arzt identifiziert wurde, der mit den Folterern zusammenarbeitete. Im Jahr 2003 wurde Romeu von einem Mann angegriffen, der in ihrem Haus Tischlerarbeiten ausführte. Ihre Familie vermutete, dass der Mann, der sie schwer auf den Kopf schlug, sich nur als Schreiner ausgab und beauftragt worden war, sie zum Schweigen zu bringen. Während Romeu den Angriff überlebte, litt sie in der Folgezeit an neurologischen Problemen, bis sie 2015 im Alter von 72 Jahren im Schlaf starb.

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