Der Tod ist in der lateinamerikanischen Sensibilität sehr präsent und hat auch den Tourismussektor erreicht. Als „Dark Tourism“ werden Touren und Reisen an Orte bezeichnet, die mit dem Tod in Verbindung stehen. Beim Besuch von Friedhöfen, Gruften, Ruhestätten und Schreine lassen „Dunkle Touristen“ die Orte von Tragödien auf sich wirken, treten gezielt in Kontakt mit dem Tod und Konfrontieren sich mit den dunklen Seiten der menschlichen Psyche. In der ecuadorianischen Hauptstadt Quito schauen Touristen dem imaginären Tod ins Auge und besuchen den ältesten Friedhof der auf den Fundamenten einer alten Inka-Siedlung errichteten Metropole.
Es ist eine kühle Nacht in Quito und die kleine Gruppe von nervösen Männern und Frauen, angeführt von Führern in schwarzen Kapuzenumhängen, navigiert durch ein Labyrinth von Krypten auf dem Friedhof von El Tejar. Sie wollen die Nacht in den unterirdischen Grabanlagen verbringen und sind das jüngste Beispiel für den so genannten „Dark Tourism“, der Menschen mit einem Faible für das Makabre lockt. „Die Idee ist, die Menschen zum Nachdenken zu bringen“, erklärt Alexandra Ortega, Direktorin von „Quito Post Mortem“, dem Unternehmen, das die Friedhofsführungen organisiert. „Auf Friedhöfen findet man Leben und Tod. Das Leben ist vergänglich und der Tod die einzige Gewissheit“. Die Idee für die nächtlichen Friedhofsbesuche entstand, als Ortega für ihre touristische Studienarbeit mehrere Szenarien analysierte. Als Besonderheit entschied sie, dass sich die Gäste mit verbundenen Augen in eine Krypta legen müssen. „Wenn man es mit verbundenen Augen macht, intensiviert sich das Erlebnis“.
Lateinamerika birgt seit langem eine mystische, vorrangige Faszination für den Tod. Nur wenige Besuche in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires gelten als komplett, wenn man nicht den Friedhof von Recoleta besucht, wo Koryphäen wie die legendäre ehemalige First Lady Eva Perón begraben sind. Mexikos Tag der Toten ist eine Hommage an den Verstorbenen mit festlichen Speisen und dekorativen Schädeln. „Der Tod ist in der lateinamerikanischen Sensibilität sehr präsent“, so Peter Sanipatín, Psychologe in Ecuador. „Diese Aktivitäten erlauben es uns, einem imaginären Tod ins Auge zu sehen und triumphierend hervorzugehen – zumindest für den Moment“.
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