In den ersten Monaten des laufenden Jahres sind in vier südbrasilianischen Bundesstaaten rund 500 Millionen Bienen gestorben. „Der Tod all dieser Bienen ist eine Botschaft an die Menschheit und ein Zeichen dafür, dass wir vergiftet werden“, klagt Carlos Alberto Bastos, Präsident des Imkerverbandes des brasilianischen Bundesdistrikts. Das Sterben von Insekten wirft Fragen über das Meer von Pestiziden auf, die in der Landwirtschaft des südamerikanischen Landes aber auch in Deutschland und in anderen Ländern der Europäischen Union verwendet werden.
Der Rückgang der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft ist offensichtlich und wurde aktuell auch von der Politik aufgegriffen. So hat die deutsche Bundesregierung jüngst ein Insektenschutzprogramm verabschiedet und nach einem Volksbegehren in Bayern werden Umweltgesetze verschärft. Die Beteiligung der Pestizide am beobachteten Rückgang der Arten wird auch in Volksbegehren in Baden-Württemberg und der Schweiz thematisiert, in denen starke Reduktionen des Pestizideinsatzes bis zu einem totalen Verzicht gefordert werden. Diese Pläne führen derzeit zu Bauernprotesten im ganzen Land. Aber wie kann es überhaupt sein, dass die am stärksten regulierte Gruppe von Chemikalien, deren Umweltwirkungen in sehr aufwändigen Verfahren bewertet werden, solch negativen Einfluss haben können? Immerhin werden für die Pestizidzulassung Umweltstudien in Millionenhöhe durchgeführt und zahlreiche Behörden in Europa mit deren Bewertung beauftragt. Der Prozess der Umweltrisikobewertung ist zudem sehr komplex und wurde jüngst im Europäischen Parlament diskutiert: es wurde um Vereinfachung gebeten.
Die beiden Wissenschaftler Brühl und Zaller vom Institut für Umweltwissenschaften Landau und von der Universität für Bodenkultur Wienstellen in einem frei zugänglichen Meinungsartikel in der Fachzeitschrift „Frontiers in Environmental Science“ die These auf, dass die Beurteilung der Pestizide im Rahmen der Zulassung trotz des enormen Aufwands unzureichend ist, weil dabei die Bedingungen auf den Feldern nicht berücksichtigt werden. Dies liege vor allem an drei fundamentalen Fehlern. Erstens werde ignoriert, dass auf den Feldern mehrere Pestizide gleichzeitig eingesetzt werden, zweitens fänden ökologische Wechselwirkungen zwischen Organismen statt, die durch Pestizide gestört werden und drittens werde die Artenvielfalt auf den Feldern selbst reduziert. In der aktuellen Debatte um den Pestizideinsatz sei es wichtig, dies zu erkennen, so die Wissenschaftler.
„Das System ist vom Ansatz nicht darauf ausgelegt, Biodiversität zu schützen und auch weitere Verfeinerungen des Zulassungsverfahrens werden dies aufgrund der elementaren Fehler nicht ändern“, so Carsten Brühl. Aktuell wird die Landwirtschaft für den Biodiversitätsrückgang verantwortlich gemacht, obwohl dort nur geprüfte Pestizide eingesetzt werden. „Der Zorn der Landwirte ist nachvollziehbar, weil ihnen ja von verschiedenen Stellen über Jahrzehnte zu Pestizidanwendungen geraten wurde. Jetzt wird ihnen der Schwarze Peter zugeschoben, weil viele internationale Studien genau diese Pestizide als Mitverursacher der Biodiversitätskrise aufzeigen“, erläutert Johann Zaller.
Den Wissenschaftlern ist wichtig darauf hinzuweisen, dass aufgrund der aufgezeigten Fehler im Bewertungssystem der EU Pestizide für die Biodiversität nicht sicher sind. Faktoren wie Flächenversiegelung, Lichtverschmutzung oder die Etablierung von Windkraftanlagen haben nach ihrer Ansicht eher einen geringer einzustufenden Anteil am beobachteten Rückgang der Insekten in Deutschland als der seit den 1970er Jahren andauernde, jährliche Einsatz von Insektiziden auf den Äckern, die über 30 Prozent der Landesfläche ausmachen.
Eine Umstellung eines regulatorischen Systems auf europäischer Ebene ist aufwändig und braucht Zeit. Aber genau diese Zeit hat man angesichts der Biodiversitätskrise nicht mehr, sind sich die beiden Umweltforscher einig. Sie raten daher zu einer drastischen Reduktion des Pestizideinsatzes, einer Rückbesinnung auf den eigentlichen Kern des integrierten Pflanzenschutzes, einer Erhöhung des Anteils an Hecken und Feldsäumen in der Landschaft und einem weiteren Ausbau der ökologischen Landwirtschaft. „Uns war es wichtig, unsere Gedanken jetzt zu veröffentlichen, wo über die neue Agrarpolitik in der EU diskutiert wird“, so Johann Zaller. „Denn es ist entscheidend zu erkennen, dass sich mit einem andauernden hohen Pestizideinsatz der Biodiversitätsverlust in der Agrarlandschaft nur weiter verstärken wird. Eine Umkehr des Trends wird zu einem späteren Zeitpunkt für künftige Generationen immer schwieriger werden“, resümiert Carsten Brühl.
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