Eine Analyse weltweiter Langzeitstudien zeigt, dass die Zahl landlebender Insekten zurückgeht. Sie sank im Schnitt um 0,92 % pro Jahr, was einem Rückgang von 24 % über 30 Jahre entspricht. Gleichzeitig stieg die Zahl der an Süßwasser gebundenen Insekten um 1,08 % pro Jahr. Diesen durchschnittlichen, globalen Trends stehen unterschiedliche lokale Entwicklungen gegenüber. Zu diesen Ergebnissen kommt die bislang umfassendste Meta-Analyse von Insektenbeständen. Die Studie wurde von Forschern des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig (UL) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) geleitet und ist nun in Science erschienen.
In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die einen dramatischen Insekten-Rückgang zeigen. Besonders viel Aufmerksamkeit erhielt eine Studie aus Naturschutzgebieten im Raum Krefeld. Diese fand einen Rückgang der Biomasse fliegender Insekten von mehr als 75 % über 27 Jahre. Die 2017 veröffentlichte Studie befeuerte Diskussionen über das Phänomen des „Insektensterbens“. Seitdem wurden weitere Studien zur Entwicklung von Insektenbeständen an verschiedenen Orten weltweit veröffentlicht. Die meisten zeigten starke, andere leichte Rückgänge, und einige sogar leichte Zunahmen. Doch bislang wurden die weltweit verfügbaren Daten nicht zusammengefügt um festzustellen, wie verbreitet und wie stark der Rückgang der Insekten tatsächlich ist. Bis jetzt.
Bislang umfassendste Datensammlung
Ein internationales Forscherteam stellte Daten aus 166 Langzeitstudien an weltweit 1676 Orten zusammen, um Veränderungen der Insektenzahlen (Individuen, nicht Arten) zu untersuchen. Diese Daten wurden im Zeitraum zwischen 1925 und 2018 erhoben. Die komplexe Analyse offenbarte große Unterschiede in den lokalen Trends – selbst zwischen nahe gelegenen Orten. So gab es in Ländern mit vielen Langzeitstudien wie Deutschland, Großbritannien oder den USA sowohl Orte mit Rückgängen als auch Orte mit wenig Veränderungen oder sogar Zunahmen. Im globalen Durchschnitt gingen landlebende Insekten wie Schmetterlinge, Heuschrecken oder Ameisen um 0,92 % pro Jahr zurück.
Insekten verschwinden leise
Erstautor Dr. Roel van Klink, der bei iDiv und der UL forscht, sagt: “0,92 Prozent klingt vielleicht nicht nach viel, aber es bedeutet 24 Prozent weniger Insekten über 30 Jahre und sogar eine Halbierung über 75 Jahre. Der Rückzug der Insekten findet leise statt – in nur einem Jahr bemerken wir das nicht. Es ist wie wenn man an den Ort zurückkehrt, wo man aufgewachsen ist. Nur wenn man jahrelang nicht dort war, bemerkt man, wie viel sich tatsächlich verändert hat – leider oft zum Schlechteren.” Die Insekten-Rückgänge waren in Teilen der USA sowie in Europa, insbesondere in Deutschland, am stärksten. In Europa verstärkten sich die negativen Trends in den letzten Jahren – die größten Rückgänge wurden seit 2005 beobachtet.
Weniger Insekten in der Luft
Beim Thema “Insektensterben” wird oft angeführt, dass heute weniger tote Insekten an Auto-Windschutzscheiben kleben als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Letztautor Prof. Jonathan Chase, Wissenschaftler bei iDiv und der MLU, sagt dazu: “Viele Insekten fliegen – das sind dann die, die von Windschutzscheiben und Kühlergrills erschlagen werden. Wir konnten zeigen, dass fliegende Insekten im Schnitt tatsächlich weniger geworden sind. Aber die meisten Insekten sind nicht augenfällig und leben im Verborgenen – im Boden, in Baumwipfeln oder im Wasser.“ Für die neue Studie untersuchten die Forscher auch Daten zu vielen dieser verborgenen Lebensräume. Es stellte sich heraus, dass heute weniger Insekten in Bodennähe leben als früher – ähnlich wie in der Luft. Im Gegensatz dazu blieb die Zahl der Insekten, die in Bäumen leben, im Schnitt unverändert.
Erholung bei Süßwasserinsekten
Gleichzeitig stieg die Zahl der Insekten, die ihr Leben zeitweise im Wasser verbringen wie Libellen, Wasserläufer und Köcherfliegen, im Durchschnitt um 1,08 % pro Jahr. Das entspricht 38 % über einen Zeitraum von 30 Jahren. Jonathan Chase hält das für ein gutes Zeichen: „Die Zahlen zeigen, dass wir die negativen Trends umkehren können. In den letzten 50 Jahren wurde weltweit viel getan, um verschmutze Flüsse und Seen wieder zu säubern. Dadurch haben sich möglicherweise viele Populationen von Süßwasserinsekten erholt. Das stimmt zuversichtlich, dass wir die Trends auch bei Populationen umkehren können, die momentan zurückgehen.“
Roel van Klink fügt hinzu: “Insektenpopulationen sind wie Holzscheite, die unter Wasser gedrückt werden. Sie streben nach oben, während wir sie immer weiter nach unten drücken. Aber wir können den Druck reduzieren, so dass sie wieder auftauchen. Die Süßwasserinsekten haben gezeigt, dass das möglich ist. Es ist allerdings nicht immer leicht, die Ursachen für die Rückgänge und somit die effektivsten Gegenmaßnahmen auszumachen. Diese können auch von Ort zu Ort anders aussehen.”
Keine einfachen Lösungen
Ann Swengel, Co-Autorin der Studie, erforscht seit 34 Jahren die Schmetterlingspopulationen an Hunderten Orten in den USA. Sie betont, wie komplex die beobachteten Trends sind: „Wir verzeichnen starke Rückgänge, auch an vielen geschützten Orten. Aber wir haben auch beobachtet, dass es Schmetterlingen an einigen Standorten gut geht. Es braucht Jahre und viele Daten um sowohl die Erfolge als auch die Misserfolge zu verstehen, Art für Art und Ort für Ort. Vieles liegt außerhalb des Einflussbereiches eines Einzelnen, aber es zählt wirklich jede Entscheidung, die wir für jeden Standort treffen.“
Lebensraumzerstörung wahrscheinlicher Grund für Rückgänge
Obwohl die Forscher nicht mit Sicherheit die Ursachen für die verschiedenen Trends – positive wie negative – benennen können, fanden Sie in den Daten doch entsprechende Hinweise. Insbesondere scheint die Zerstörung natürlicher Lebensräume – vor allem durch Verstädterung – landlebende Insekten zurückzudrängen. Andere Berichte, wie das „Globale Assessment“ des Weltbiodiversitätsrates IPBES, weisen ebenfalls darauf hin, dass die veränderte Landnutzung und die Zerstörung von Lebensräumen Hauptursachen sind für weltweite Veränderungen der biologischen Vielfalt.
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