Die brasilianische Regierung wird die Zahl der Todesfälle aufgrund des Coronavirus überprüfen und keine Veröffentlichung von „Updates“ mehr zulassen. Nach offiziellen Angaben sind im größten Land Südamerikas derzeit mehr als 35.000 Menschen am Virus gestorben, Präsident Jair Messias Bolsonaro steht wegen seiner Politik in der Kritik. Laut Carlos Wizard, einflussreicher Sekretär des Gesundheitsministeriums und Mitglied der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ , sind die Statistiken „phantasievoll oder manipuliert worden“. Zudem schwelt seit Wochen ein Machtkampf mit den unabhängigen Medien, die der Regierung ein Dorn im Auge sind. „Es gibt viele Menschen die aus anderen Gründen sterben und Beamte, die daraus Profit schlagen wollen. Sie wollen ein größeres Budget für ihre Gemeinden erhalten und stufen alle in die Kategorie Covid ein. Wir überprüfen nun diese Todesfälle“, so Wizard. Und er fügte hinzu: „Ich versichere Ihnen, dass wir realere Daten haben werden. Die Zahl, die wir heute haben, ist phantasievoll oder manipuliert worden“.
Die Erklärung stellt die neuesten Entscheidungen der Bolsonaro-Regierung in Bezug auf die Pandemie-Bilanzstatistik dar. Seit Mittwoch hat das nun von einem General geleitete Gesundheitsministerium die Veröffentlichung der täglichen Daten verzögert. Jeden Tag wurden die Statistiken um 22:00 Uhr Ortszeit in den Nachrichten bekannt gegeben – sehr zur Missgunst von Präsident Bolsonaro. „Diese Zeiten sind vorbei, wir richten uns nicht nach dem Jornal Nacional“, so das Staatsoberhaupt. Das „Jornal Nacional“ ist eine Nachrichtensendung des brasilianischen Medienunternehmens „Rede Globo“. Sie wird seit dem 1. September 1969 als Hauptnachrichtensendung ausgestrahlt und ist in Brasilien zur Hauptsendezeit am Abend täglich außer sonntags als wichtigste Fernseh-Informationsquelle sehr beliebt und die meistgesehene Sendung im brasilianischen Fernsehen.
Auf die Frage nach den Gründen für die Verzögerungen und einen möglichen Mangel an Transparenz versicherten Vertreter des Ministeriums, dass dies auf die Notwendigkeit zurückzuführen sei, die bei den regionalen und kommunalen Sekretariaten eingegangenen Statistiken zu verarbeiten. In der Zwischenzeit hat Brasilia die Veröffentlichung der Anzahl der Todesfälle und der Gesamtzahl der Fälle eingestellt und die Website mit diesen Daten entfernt. Ab sofort sind keine „Zwischenstände“ sondern nur noch der „Tagesabschluss“ verfügbar. „Rede Globo“ hat angekündigt, die Datensätze von den lokalen Gesundheitsministerien trotzdem zu sammeln und die Updates der Bevölkerung zugänglich zu machen. Kurz nach der Ankündigung von Bolsonaro ging der Sender auf Konfrontationskurs. Mitten in der Neun-Uhr-Seifenoper „Fina Estampa“ unterbrach der Chefredakteur von „Jornal Nacional“, William Bonner, die Sendung und gab die gesammelten Datensätze bekannt. „Sie werden diese Daten von uns bekommen – sobald sie bekannt gegeben werden. Wir erfüllen hier unsere Mission“, bekräftigte Bonner um später darauf hinzuweisen, dass er seine Solidarität mit den Opfern der Pandemie zum Ausdruck bringt. Bolsonaro monopolisierte auch die öffentliche Debatte über das Coronavirus am Freitagabend indem er drohte, Brasilien aus der Weltgesundheitsorganisation zurückzuziehen, die er beschuldigte „ideologische Vorurteile“ zu haben. Die Erklärung zu „ideologischen Vorurteilen“ scheint sich auf die Argumente zu beziehen, die US-Präsident Trump bei der Bekanntgabe der Entscheidung zum Rückzug seiner Regierung vorgebracht hat: eine positive Tendenz der Organisation gegenüber China.
Update:
Der Nationale Rat der Gesundheitssekretäre (Conass), in dem die Sekretäre und Sekretärinnen des Gesundheitswesens aus 26 Bundesstaaten und des Bundesdistrikts vertreten sind, haben eine Mitteilung veröffentlicht. Darin werden die Aussagen „des Geschäftsmannes Carlos Wizard“, der sich eine „strategische Position im Gesundheitsministerium“ sichern will, zurückgewiesen. In der Notiz klassifizieren die Staatssekretäre den Vorwurf als einen „autoritären, unsensiblen, unmenschlichen und unethischen Versuch“ die Toten durch Covid-19 „unsichtbar machen zu wollen“. Zugleich werfen sie Carlos Wizard „tiefe Ignoranz gegenüber dem Thema“ und eine „Beleidigung all jener hilflosen Opfer dieser schrecklichen Pandemie und ihrer Familien“ vor. „Seine grobe, trügerische Aussage, ohne jeden ethischen Sinn, ohne Menschlichkeit und Respekt, verdient unsere tiefe Verachtung, Ablehnung und unseren Ekel. Wir sind keine Händler des Todes. Das Leben ist unser größter Wert, mit ihm verhandeln, relativieren oder kompromittieren wir nicht“, heißt es weiter. Der ehemalige Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta vertritt die Meinung, dass die Entscheidung des Gesundheitsministeriums, die Gesamtzahl der Fälle und Todesfälle von Covid-19 nicht offenzulegen, eine Tragödie ist. „Wenn nicht korrekt berichtet wird, kann der Zustand schädlicher sein als die Krankheit. Es wäre mehr als das. Es wäre eine transformative plastische Operation. Es scheint mir, dass sie versuchen eine größere Korrektur an den Zahlen durchzuführen“. Die Kontroverse um die Coronavirus-Zahlen in Brasilien geht inzwischen weiter: Die Johns Hopkins University hatte das Land für mehrere Stunden aus ihrer Überwachungsstatistik genommen.
Update, 7. Juni
Die brasilianische Justiz forderte die Regierung von Präsident Jair Messias Bolsonaro auf, die Verzögerungen und Nichtveröffentlichung der Gesamtzahl der Coronavirus-Daten zu erläutern. Die Staatsanwaltschaft gab ihm eine Frist von 72 Stunden, um die Änderungen in der Methodik detailliert darzulegen um herauszufinden, ob es Hinweise auf rechtswidrige Handlungen in Bezug auf bestehende Transparenzgesetze oder administrative Unangemessenheit gibt.
Frei nach C. Morgenstern,…. die unmögliche Tatsache,…… was nicht sein darf, dass nicht sein kann!
noesfacil