„Der Klimawandel ist die größte Herausforderung, vor der die Menschheit je stand, und es gibt keine Möglichkeit, die Bedrohung in letzter Sekunde abzuwenden, wie zum Beispiel bei diplomatischen Krisen“, macht Dr. Anna Luisa Lippold deutlich. Sie hat sich in ihrer Dissertation im Arbeitsbereich Angewandte Ethik der Ruhr-Universität Bochum (RUB) bei Prof. Dr. Klaus Steigleder mit einer Frage befasst, die viele umtreibt: Welche individuellen moralischen Pflichten haben wir angesichts des Klimawandels? Anders ausgedrückt: Darf man noch in den Urlaub fliegen? Fleisch essen? Milch im Kaffee trinken? Ihre Antwort darauf gibt sie in der aktuellen Ausgabe von Rubin, dem Wissenschaftsmagazin der RUB.
Einen pragmatischen Weg aufzeigen
Anna Luisa Lippold ging es darum, einen pragmatischen Weg aufzuzeigen, der frei von Ideologien prüft, was und in welchem Zeitrahmen aus welchen rationalen Gründen zu tun ist, um den Klimawandel zu begrenzen. Das gängige Narrativ, dass jeder Einzelne seine Emissionen herunterschrauben müsse, stellt sie infrage: Da der Beitrag jedes einzelnen den Klimawandel weder verursacht, noch ihn aufhält, sieht sie die moralische Pflicht nicht in erster Linie und vor allem nicht ausschließlich in der Verringerung des CO2-Ausstoßes des Individuums.
Individuelle Pflicht, das kollektive Handeln voranzubringen
Dennoch gibt es eine moralische Pflicht, die Rechte zukünftiger Generationen zu wahren. Es sind deshalb die Eltern, die Vorsorge für das Leben der Kinder treffen müssen. Aber was unternehmen gegen den Klimawandel, wenn die Veränderung des eigenen Konsumverhaltens nicht ausreicht? Sind wir dann nicht hilf- und machtlos? Sind wir nicht, meint die Forscherin. Sie verficht die individuelle Pflicht, das kollektive Handeln voranzubringen. Zum kollektiven Handeln gehören zum einen die politischen Akteure. Zum anderen aber auch wir als Gesellschaft. „Demonstrationen organisieren oder daran teilnehmen, seinen politischen Vertreter anschreiben, Politiker nicht an der Wahlurne für klimaschützende Maßnahmen abstrafen und vor allem sein soziales Umfeld sensibilisieren und alles in allem für ein gesellschaftliches Klima sorgen, in dem ambitionierter Klimaschutz über parteiliche Grenzen hinweg möglich ist, das liegt in der Macht eines jeden“, sagt sie.
Nicht Wasser predigen und Wein trinken
So gut wie niemand sei von dieser moralischen Verpflichtung zur Einmischung frei, legt sie dar, und begründet das mit der Zugehörigkeit der Menschen zu sogenannten schwachen Kollektiven, die moralisch zum Handeln verpflichtet sind. Wenn man sich nun aber seiner Pflicht zur Einmischung bewusst ist und sie wahrnimmt, macht man sich dann nicht unglaubwürdig, wenn man den dicken SUV fährt und Fernreisen bucht? „Ja, man sollte nicht Wasser predigen und Wein trinken. Deswegen sehe ich – wenn auch eindeutig nachgelagert – auch die Pflicht, sich selbst zu beschränken“, so Anna Luisa Lippold.
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