Erstmals gelang es Klimaforscher*innen des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), mithilfe statistischer Analysen aufzuzeigen, wie sich im Laufe des letzten Jahrtausends Schwankungen in der Atlantischen Multidekadischen Oszillation (AMO) auf das meteorologische Phänomen der Nordatlantischen Oszillation auswirkten. Damit gelang es ihnen auch, eine Verbindung zwischen der AMO und Klimavariablen im Ostseeraum, wie der Ausbreitung von Meereis, der Temperatur des Oberflächenwassers oder der Flusszufuhr, herzustellen.
Die sprichwörtliche Belanglosigkeit eines Reissackes, der im fernen Asien umfällt, ist längst widerlegt: In einer globalisierten Welt bleibt nichts ohne Folgen. Aber auch jenseits der weltumspannenden Verbindungen, die die moderne Gesellschaft geschaffen hat, ist in unserem „System Erde“ alles miteinander verbunden, auch wenn wir es auf den ersten Blick nicht erkennen. Für den zweiten, analytischen Blick ist die Wissenschaft zuständig. Ein Autoren-Team des IOW um den Klimamodellierer Florian Börgel hat sich die Fernwirkung des Atlantiks auf Temperatur, Eisbedeckung und Flusswasserzufuhr in der Ostsee während des letzten Jahrtausends mithilfe eines globalen und regionalen Klimamodells genauer angesehen. Sie berichten in einem Artikel der internationalen Fachzeitschrift Environmental Research Letters von überraschenden Ergebnissen.
Das Wetter in Europa ist eng mit der Nordatlantischen Oszillation (NAO), einer Schwankung der Luftdruckverhältnisse über dem Nordatlantik verbunden. Sie wird durch zwei aus den Wetterberichten bekannten Aktionszentren geprägt: dem Islandtief, einem Tiefdruckgebiet über Island, und dem Azorenhoch, einem Hochdruckgebiet über den Azoren. Sind beide Zentren stark ausgebildet, die Luftdruckunterschiede also ebenfalls sehr stark, so spricht man von einem positiven NAO-Index. Der umgekehrte Fall – also schwache Aktionszentren über Island und Azoren – wird mit dem negativen NAO-Index beschrieben.
Dieses Wechselspiel aus Luftdruckunterschieden über dem Nordatlantik sorgt dafür, dass sich zum Beispiel in Nordeuropa Perioden mit warmen regnerischen Wintern mit kalten trockenen Winterbedingungen abwechseln. Börgel und seine Kolleg*innen analysierten nun erstmalig mit statistischen Methoden eine Simulation der weltweiten Klimaentwicklung der letzten 850 Jahre, die auf der Basis eines globalen Zirkulationsmodells (ECHO-G) entstanden war, um herauszufinden, in welcher Beziehung die NAO und die so genannte Atlantische Multidekadische Oszillation (AMO) in dieser Zeitspanne standen. Mit dem Begriff AMO werden regelmäßige Schwankungen der Temperatur des Atlantischen Oberflächenwassers mit einer Periodizität von 50 bis 90 Jahren beschrieben. Vereinfacht heißt das: Der Atlantik ist etwa 30 Jahre lang überdurchschnittlich warm, gefolgt von 30 eher kalten Jahren.
AMO und NAO stehen seit Jahrzehnten im Fokus der Klimaforschung. Sie über ein knappes Jahrtausend hinweg beobachtet und ihre Wechselwirkung in einem so langen Zeitraum analysiert zu haben, ist das Besondere an der nun vorliegenden Studie.
Die Autor*innen fanden heraus, dass sich die Luftdruckzentren der NAO in Abhängigkeit von der Temperaturphase, in der sich der Atlantik befindet, nach Osten oder Westen verschieben. Indem sie diese großräumigen Schwankungen und Verknüpfungen mit einem regionalen Zirkulationsmodell für Europa verbanden, konnten sie zeigen, dass die AMO-bedingte Verschiebung von Azoren-Hoch und Island-Tief letztlich auch in der Ostseeregion für Veränderungen von Klimavariablen wie Meereis, Wassertemperatur und Flusszufuhr sorgten: Während kalter (negativer) AMO-Phasen rückte das Islandtief näher an Europa und die NAO gewann mehr Einfluss auf das Klima in Nordeuropa, auch auf Temperatur, Niederschlag oder Eisbedeckung in der Ostsee. Aktuell befinden wir uns am Anfang einer solchen kalten AMO-Phase.
„Für uns als Ostseeforscher ist wichtig, dass wir verstehen, wie das Klima in unserer Region funktioniert. Unsere Studie kann dabei helfen, die Vorstellungen vom Ostsee-Klima der Zukunft zu verbessern,“ kommentiert Florian Börgel die neuen Erkenntnisse. Und Markus Meier, Leiter der Sektion Physikalische Ozeanographie am IOW und Co-Autor der Studie ergänzt: „Der Blick in die Vergangenheit ermöglicht ein vom Klimawandel noch unverstelltes Bild. Es zeigt uns die Kulisse auf, vor der sich die Erderwärmung abspielt.“
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