Ein Marsch von rund dreitausend Menschen in der nordchilenischen Stadt Iquique hat am Samstag (25.) mit fremdenfeindlichen Drohungen und der Verbrennung von Habseligkeiten venezolanischer Flüchtlinge ohne Papiere geendet. Ein Tag zuvor war ein öffentlicher Platz voller Flüchtlings-Familien mit Kindern von den Behörden geräumt worden. „Unzulässige Demütigung gegen besonders verletzliche Flüchtlinge, die sie auf höchst persönliche Weise betrifft“, schrieb Felipe González, UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten, auf Twitter. „Der fremdenfeindliche Diskurs, der Migration mit Kriminalität gleichsetzt und der in Chile leider immer häufiger zu beobachten ist, nährt diese Art von Barbarei“, so Gonzalez weiter. In einem Klima offener Ablehnung gegenüber venezolanischen Flüchtlingen hissten die Demonstranten chilenische Flaggen sowie die Whiphala, um ihren Widerstand gegen die illegale Einwanderung zum Ausdruck zu bringen, die mit Gerüchten über alle möglichen Plattformen mit Kriminalität in Verbindung gebracht wird. Die Wiphala ist ein quadratisches Emblem, das häufig als Flagge verwendet wird um einige Ureinwohner der Anden zu repräsentieren, zu denen das heutige Peru, Bolivien, Argentinien, Chile, Kolumbien und Teile von Ecuador gehören.
Von der Plaza Prat im historischen Zentrum von Iquique gelangten die Demonstranten an einen Strand am Pazifik, wo Carabineros vereinzelte Handgemenge unter Kontrolle bringen mussten. Die Scharmützel wurden von chilenischen Einwohnern provoziert, die die Venezolaner auf der Straße angriffen. Letztere hatten seit Samstagmorgen Ortszeit versucht, sich mit ihren Kindern auf dem Arm oder in Autos in anderen Bereichen des Badeortes zu verstecken, um den Demonstranten zu entgehen. Andere radikale Demonstranten gingen zu einigen kleinen Lagern venezolanischer Flüchtlinge – die nicht vor Ort waren – und verbrannten deren wenige Habseligkeiten: Stofftiere, Fahrräder, Zelte, Matratzen, Taschen, Decken und Spielzeug, das sie als Spenden erhalten hatten. „Ich bin in Iquique geboren, aufgewachsen und habe immer in dieser nördlichen Region gelebt. Was wir jetzt erleben, ist schrecklich, denn das Problem ist, dass sie in Venezuela ihre Gefängnisse geöffnet haben und einige dieser Menschen nach Chile gekommen sind“, so Veliz Rifo, ein 48-jähriger Landwirt aus La Tirana (zweiundsiebzig Kilometer östlich von Iquique) in einem Interview. „Das Schlimmste ist, dass die chilenische Regierung es zugelassen hat, dass die Zahl der Einwanderer zunimmt und dass es sich dabei nicht um politische Flüchtlinge oder Einwanderer handelt, die mit ihrer Arbeit einen Beitrag leisten, sondern um viele Kriminelle“, fügte Rifo hinzu und beklagte, dass viele der Flüchtlinge Siedlungen mit Papp- und Blechhütten am Rande der fast zweitausend Kilometer von Santiago entfernten Hafenstadt errichten.
Die Demonstration fand einen Tag nach der Räumung auf der Plaza Brasil statt, wo die ärmsten Migranten ohne Papiere, die Santiago nicht erreichen können und sich mit dem Verkauf von Süßigkeiten, dem Betteln um Almosen oder dem Putzen von Auto-Scheiben an den Ampeln der Stadt durchschlagen, die Nacht verbrachten. Der Gouverneur der Region Tarapacá, José Miguel Carvajal und der Bürgermeister von Iquique, Mauricio Soria, gaben der Regierung von Präsident Sebastián Piñera die Schuld an der Migrationskrise im Norden Chiles. Beide wurden nicht über die Räumung vom Freitag informiert, die in Teilen der Bevölkerung Fremdenfeindlichkeit schürte. Die venezolanische Gemeinschaft ist mit mehr als 400.000 Menschen die größte in Chile, obwohl sie angesichts der Zunahme der illegalen Einreisen seit 2020, als Chile seine Grenzen wegen der Pandemie schloss, schätzungsweise noch viel größer ist. Darüber hinaus hat die chilenische Regierung ihre von Präsident Piñera im Jahr 2018 verfolgte Politik der Solidarität mit den Venezolanerinnen und Venezolanern im Bereich der Migration revidiert und sogar exklusive Visa für diese Gruppe angeboten, damit diese „Chancen in Chile haben“. Seitdem wurde die Erteilung von Visa für Reisende aus Venezuela drastisch eingeschränkt, dann kamen die Grenzschließungen aufgrund der Pandemie und viele Venezolaner überquerten die Grenze, nachdem sie einige Jahre in Kolumbien, Ecuador und Peru gelebt hatten. Laut dem Septemberbericht des Jesuiten-Migrationsdienstes (SJM) erreichte die Zahl der Menschen, die über illegale Grenzübergänge nach Chile kamen, im Juli 23.673 und damit fast 7.000 mehr als im gesamten letzten Jahr.
Update, 27. September
Die chilenische Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung des gewaltsamen Angriffs auf undokumentierte venezolanische Migranten eingeleitet, deren Hab und Gut am Samstag in der Stadt Iquique (Norden) von Demonstranten gegen die wachsende Migration in der Region verbrannt wurden.
Stofftiere, Fahrräder, Zelte, Matratzen, Taschen, Decken und Spielzeug: das sind die Utensilien von Kriminellen ??
Kriminell sind die Chilenen, die das vernichtet haben.
Haben die Chilenen vergessen, wie es ihnen unter ihrem letzten Diktator ergangen ist?