Wissenschaftler kommen der Lösung des karibischen Algen-Rätsels näher

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Eine der Hauptattraktionen Mexikos ist das türkisfarbene Wasser und der weiße Sand seiner Strände. Sind diese von Algen bedeckt, werden Touristen sie nicht besuchen wollen (Foto: Twitter)
Datum: 30. September 2021
Uhrzeit: 05:19 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Redaktion
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Wissenschaftler waren verblüfft, als 2011 im tropischen Atlantik ein Algenband wuchs, das länger war als die gesamte brasilianische Küste – ein Gebiet, in dem es normalerweise keine Nährstoffe gibt, die ein solches Wachstum fördern würden. Eine Gruppe von US-Forschern hat nun einen Hauptverdächtigen ausgemacht: menschliche Abwässer und landwirtschaftliche Abflüsse, die über Flüsse ins Meer gelangen. Die Wissenschaft ist noch nicht ganz sicher. Dieser nährstoffhaltige Abfluss ist nur einer von mehreren wahrscheinlichen Verursachern einer explosionsartigen Vermehrung von Algen in den warmen Gewässern Amerikas. Sechs Wissenschaftler erklärten gegenüber der Nachrichtenagentur „Reuters“, dass sie vermuten, dass eine komplexe Mischung aus Klimawandel, Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes und Staub, der von der afrikanischen Sahara-Wüste nach Westen geweht wird, eine Mega-Blüte des dunkelbraunen Seetangs, der als Sargassum bekannt ist, antreibt.

Im Juni 2018 verzeichneten Wissenschaftler zwanzig Millionen Tonnen Seetang, was einem Anstieg von eintausend Prozent gegenüber der Blüte im Jahr 2011 entspricht. „Es gibt wahrscheinlich mehrere Faktoren, die das Wachstum antreiben“, so der Ozeanograph Ajit Subramaniam von der „Columbia University“. „Ich wäre überrascht, wenn es einen eindeutigen Bösewicht gäbe“. Eine aktuelle Studie, in der die Chemie der Algen von den 1980er Jahren bis 2019 untersucht wurde, ist der bisher stärkste Beweis dafür, dass Wasser aus Städten und landwirtschaftlichen Betrieben wesentlich zur Ausdehnung des sogenannten „Great Atlantic Sargassum Belt“ beigetragen hat, der sich inzwischen über fast neuntausend Kilometer erstreckt. Die Studie, an der der Biologe Brian Lapointe von der „Florida Atlantic University“ mitgewirkt hat, ergab, dass Sargassum, das in jüngster Zeit in Küstengewässern von Brasilien bis in den Süden der USA und in mehreren karibischen Staaten gesammelt wurde, durchschnittlich fünfunddreißig Prozent mehr Stickstoff enthielt als in Proben, die mehr als drei Jahrzehnte zuvor entnommen wurden. Die Ergebnisse wurden im Mai in der Zeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.

Stickstoff findet sich in menschlichen und tierischen Abfällen sowie in Düngemitteln. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Abwässer und landwirtschaftliche Abflüsse, die in Flüsse in ganz Amerika und dann in den Ozean fließen, das Wachstum von Sargassum vor der Küste fördern. Die Strömungen tragen einen Großteil dieser Algen in die Karibik, wo sie die vom Tourismus abhängige Küstenwirtschaft der Region bedrohen. Die Proben zeigten zum Beispiel auch einen Anstieg des Verhältnisses von Stickstoff zu Phosphor um einhundertelf Prozent im gleichen Zeitraum. Dieses Verhältnis ist in den Ozeanen der Welt seit Jahrzehnten nahezu konstant. Die Veränderung deutet darauf hin, dass sich die Wasserchemie radikal verändert hat. Angesichts des globalen Temperaturanstiegs gehen Wissenschaftler davon aus, dass sich die Regenfälle in bestimmten Gebieten der Erde, darunter auch im Amazonasgebiet, verstärken. Diese Stürme erhöhen die Häufigkeit von extremen Überschwemmungen, die wahrscheinlich mehr stickstoffreiche Abflüsse ins Meer treiben, betonte Lapointe gegenüber „Reuters“, was er als „doppelten Schlag“ bezeichnet.

Experten stellen fest, dass die Spitzenüberschwemmungen des Amazonasflusses im März und April eine Nährstoffwolke über Hunderte von Kilometern ins Meer treiben, die mit der großen Sargassum-Blüte zusammenfällt. Von dort aus treiben Strömungen das Seegras um die Küste Venezuelas herum in die Karibik und manchmal sogar noch weiter nach Norden in den Golf von Mexiko. Der Klimawandel führt auch zu stärkeren Wirbelstürmen, die auf See mehr Nährstoffe vom Meeresboden hochziehen und damit möglicherweise Sargassum düngen. Wissenschaftler haben auch die Theorie aufgestellt, dass Staub aus der Sahara-Wüste sowie Rauch und Asche zum Algenboom beitragen könnten. Wenn die Partikel über den Atlantik nach Westen geweht werden, treffen sie auf Wolken und regnen als düngende Eisen- und Phosphorablagerungen auf das Wasser nieder. Der genaue Nachweis, inwieweit jeder dieser Faktoren zum Wachstum von Sargassum beiträgt, wird Jahre der Finanzierung und Forschung erfordern. Das heißt aber nicht, dass die Regierungen nicht jetzt schon handeln können, um den Trend umzukehren, sagen die Wissenschaftler.

„Dieses Phänomen wird sich fortsetzen, bis sich die öffentliche Politik ändert“, bekräftigt Carlos Noriega, Ozeanograph an der brasilianischen Bundesuniversität von Pernambuco. Brasilien könnte zum Beispiel die Abholzung verlangsamen, die zu einem Boom in der Viehzucht geführt hat, wodurch lockere Erde, Dung und Dünger in die Flüsse gespült werden. Er wies auch auf die wachsende Bevölkerung in Brasiliens Amazonasgebiet hin. Die fünf größten Städte dort sind seit 2010 um fast neunhunderttausend Menschen gewachsen und in weiten Teilen der Region gibt es keine ausreichende Abwasseraufbereitung. „Die Abwasserreinigung und der Stopp der Abholzung sind die einzige Möglichkeit, das Problem in den Griff zu bekommen“, so Noriega.

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