Ecuador: „Kokain-Autobahn in die Vereinigten Staaten und nach Europa“

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Die Präsenz des Drogenhandels in Ecuador nimmt zu und das Land von einem Transitland zum Zentrum für die Lagerung, Verarbeitung und Verteilung von Drogen geworden (Foto: PoliciaNacional)
Datum: 11. Oktober 2021
Uhrzeit: 16:32 Uhr
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Die Präsenz des Drogenhandels in Ecuador nimmt zu und das Land ist von einem Transitland zum Zentrum für die Lagerung, Verarbeitung und Verteilung von Drogen geworden. Dies hat sich in einer beispiellosen Zunahme der Gewalt niedergeschlagen. So definiert die spezialisierte Website „InsightCrime Ecuador“ die aktuelle Situation im Nachbarland von Kolumbien und Peru und weist darauf hin, dass mehr als ein Drittel der wachsenden kolumbianischen Kokainproduktion in Ecuador eintrifft und die ecuadorianischen Häfen hauptsächlich in Richtung USA und Europa verlässt. Washington hat die Republik im Nordwesten Südamerikas gerade auf seine Liste der Länder mit dem höchsten Anteil an Drogenhandel und -produktion gesetzt und nach Ansicht von Experten hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen: Es handelt sich nicht mehr um ein „Transitland“ für Drogen, sondern um ein Land, in dem diese gelagert, verarbeitet und verteilt werden.

Dieser Paradigmenwechsel zeigt sich in der größeren Menge an sichergestellten Drogen – vor allem Kokain – und in der immer häufigeren Entdeckung von Labors, aber auch in der Zunahme der Gewalt. Letzteres ist besonders in den Gefängnissen zu beobachten. Erst Ende September wurde das schlimmste Massaker in der Geschichte ders ecuadorianischen Gefängnissystems verübt: Bei einem Zusammenstoß zwischen rivalisierenden Banden im Centro de Privación de Libertad Número 1 in Guayaquil gab es einhundertneunzehn Tote und einundachtzig Verletzte. Diese Banden sind in den Drogenhandel verwickelt und kämpfen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gefängnisses um die Kontrolle ihres Territoriums. In Kolumbien werden jedes Jahr etwa eintausendzweihundert Tonnen Drogen produziert. Davon werden rund vierhundertfünfzig Tonnen in den an Ecuador grenzenden Departements Nariño und Putumayo verarbeitet/hergestellt. Der Anstieg der Kokainproduktion in Kolumbien hat zu Rekordbeschlagnahmungen geführt, auch in Ecuador.

Tatsächlich ist Ecuador das südamerikanische Land, das kein Kokain produziert aber die meisten Drogen beschlagnahmt. Nach Angaben der ecuadorianischen Antidrogenpolizei wurden 2019 neunundsiebzig Tonnen Drogen beschlagnahmt, 2020 waren es einhundertachtundzwanzig Tonnen und bis zum 6. Oktober 2021 wurden einhundertsechsunddreißig Tonnen beschlagnahmt. Die Behörden gehen davon aus, dass bis Ende dieses Jahres rund einhundertsiebzig Tonnen sichergestellt werden. Siebzig Prozent dieser Droge ist Kokain, was bereits einen Eindruck von der Bedeutung dieses Marktes in Ecuador vermittelt. Von „BBC Mundo“ befragte Experten weisen auf mehrere Faktoren hin, die erklären, wie Ecuador von einem Transitland zu einem wichtigen Akteur in den lateinamerikanischen Drogenhandelsnetzen aufsteigen konnte. Die von den kolumbianischen Behörden durchgeführte Ausräucherung und Vernichtung illegaler Kulturen führte insbesondere ab Anfang der 2000er Jahre zu einer „Grenzüberschreitung“ des illegalen Anbaus. Dies ist als „Ballon-Effekt“ bekannt: Wenn die Drogenproduktion in einer Region unterdrückt wird, steigt sie in anderen Regionen an. Die Maßnahmen der Regierung gegen den Drogenhandel in Kolumbien haben dazu geführt, dass ein großer Teil der Infrastruktur des organisierten Verbrechens in andere Länder abgewandert ist, z. B. nach Venezuela, von wo aus fast fünfzig Prozent der kolumbianischen Drogen stammen, nach Ecuador, von wo aus 37,5 Prozent kommen und nach Brasilien (fast 12,5 Prozent).

Von Kolumbien aus führen zwei Drogenhandelsrouten durch Ecuador. Die eine ist die Pazifikroute, über die die Drogen durch die Provinz Esmeraldas zu den Häfen des Landes gelangen – hauptsächlich in den Provinzen Manabí und Guayas. Die andere ist die Amazonas-Route, über die die Drogen über Sucumbíos nach Brasilien und in andere Länder der Region geschleust werden. Im Jahr 2017 warnten die Vereinten Nationen davor, dass fünfunddreißig Prozent der illegalen Ernten innerhalb von zehn Kilometern an der Grenze zu Ecuador angebaut wurden. Was in Ecuador rasant zugenommen hat, ist die Zahl der Verarbeitungslabors, vor allem in der Nähe der kokainproduzierenden Enklaven im Süden Kolumbiens, Nariño und Putumayo. Nach Angaben der Polizei wurden in diesem Jahr bisher vier Kristallisationslabors in den Grenzprovinzen Esmeraldas, Carchi und Sucumbíos entdeckt, in denen Kokainpaste zu Kokainhydrochlorid raffiniert wird. Dieser gesamte Kontext zieht ausländische Kartelle und kriminelle Gruppen an, ein Trend, der durch andere interne und externe Entwicklungen noch verstärkt wurde.

Während all dieser Verschiebungen der „kriminellen Holdings“ gab es ein Ereignis, das von vielen Analysten als grundlegend angesehen wird: die Auflösung der US-Militärbasis in Manta an der ecuadorianischen Küste im Jahr 2009. Von dieser Basis aus wurden die von Drogenhändlern genutzten Flugzeuge verfolgt und zur Landung gezwungen. Die Schließung war ein Wahlversprechen von Rafael Correa, der nach seiner Amtsübernahme ankündigte, dass der Vertrag über die Nutzung des Stützpunkts nicht verlängert werden würde, da der Stützpunkt die Souveränität Ecuadors verletze. Das Verbot der Präsenz ausländischer Stützpunkte im Land wurde in die 2008 verabschiedete neue Verfassung aufgenommen und war ein wichtiger Wendepunkt, wodurch das transnationale organisierte Verbrechen fast vollständig eindringen konnte. Es wurden falsche Entscheidungen getroffen und das fordert seinen Tribut. Von der US-Militärbasis aus wurde eine Kontrolle über die Drogenflugzeuge ausgeübt, die in den ecuadorianischen Luftraum eindrangen und auch Schnellboote kontrolliert und aufgebracht, die Schiffe auf hoher See versorgten. Im Laufe der Zeit haben diese Entscheidungen dazu geführt, dass die (kriminellen) Organisationen stärker wurden und die Macht übernommen haben.

Für viele Experten gibt es allerdings ein Element, das einen viel größeren Einfluss auf den Wandel des Landes in der Kette des Drogenhandels hatte: die Nebeneffekte des Friedensabkommens in Kolumbien. Im September 2016 unterzeichneten die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) ein Friedensabkommen mit dem kolumbianischen Staat. Die Verhandlungen mit der anderen Guerillagruppe, der Nationalen Befreiungsarmee (ELN), sind ins Stocken geraten. Die FARC kontrollierte die Produktions- und Vertriebsketten von Kokain und die Demobilisierung der Guerilla führte zu strukturellen Veränderungen im Drogenhandel nicht nur in Kolumbien, sondern auch in Ecuador, das zu einem viel wichtigeren Akteur im Drogenhandel wurde. Innerhalb der FARC gibt es Dissidentengruppen, die sich nicht an das Friedensabkommen halten und vor allem an der Grenze zu Ecuador in den kolumbianischen Departements Nariño und Putumayo aktiv sind. Sie haben sich mit mexikanischen Kartellen und anderen europäischen Organisationen, vor allem aus dem Westbalkan, verbündet. Dies ist eine Realität, die das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in seinem Bericht für das Jahr 2021 aufgegriffen hat. Sie stellt fest, dass „in den letzten Jahren mehrere europäische Gruppen als wichtige Akteure bei der Verbringung erheblicher Mengen Kokain nach Europa aufgetreten sind und auch ihre eigene Präsenz und Kontakte in Lateinamerika aufgebaut haben“. Der Bericht bezieht sich insbesondere auf Gruppen in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Montenegro und Serbien. Zwei mexikanische Kartelle stechen unter diesen internationalen Organisationen ebenfalls hervor: das Sinaloa-Kartell, das 2003 begann in Ecuador zu operieren und das Jalisco-Kartell – Neue Generation (CJNG).

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