Mit siebzig Millionen Blitzeinschlägen pro Jahr ist Brasilien das am stärksten betroffene Land der Erde. Ein kürzlich veröffentlichtes Buch von Wissenschaftlern der „Grupo de Eletricidade Atmosférica do Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais“ (Elat/Inpe) warnt jedoch davor, dass diese Zahl aufgrund des Klimawandels bis zum Ende des Jahrhunderts auf durchschnittlich mehr als einhundert Millionen Blitzeinschläge pro Jahr ansteigen wird. Der größte Anstieg, etwa fünfzig Prozent, wird in Amazonien stattfinden und Auswirkungen auf das Gleichgewicht der Wald-, Telekommunikations- und Energienetze haben. Der Amazonas ist aufgrund seiner Größe und der häufigen Stürme bereits der Ort mit der höchsten Anzahl elektrischer Entladungen im Land. Drei oder vier Tage vergehen dort nicht ohne elektrische Entladungen, bestätigt Osmar Pinto Jr., der gemeinsam mit der Wissenschaftlerin Iara Cardoso das Buch „Brasilien: Weltmeister der Blitze“ verfasst hat.
Im Amazonasgebiet wird die größte Häufigkeit von Blitzen registriert. Laut Pinto Jr. hat die Analyse der Satellitendaten ergeben, dass es sich um ein Gebiet von etwa fünfundzwanig Quadratkilometer handelt, das etwa einhundert Kilometer von der Hauptstadt Manaus entfernt am Ufer des Rio Negro liegt. DasWaldstück wird demnach an zweihundertfünfzig Tagen im Jahr von Blitzen getroffen. „Wir haben hier eine Kombination aus der hohen Luftfeuchtigkeit des Waldes und der Feuchtigkeit, die von den Flüssen kommt. Es entsteht eine immense Menge an Wasserdampf, die fast täglich für Stürme sorgt“, erklärt der Wissenschaftler. Das Buch sammelt Daten aus mehr als drei Jahrzehnten Forschung und unveröffentlichten Studien von Pinto Jr. und Cardoso, den Gründern von „Elat“. Für die Regionen Südost, Süd und Mitte-West wird ein Anstieg von zwanzig bis vierzig Prozent prognostiziert, der innerhalb der einzelnen Regionen variiert. Im Nordosten, der trockener ist und weniger Stürme aufweist, dürfte der Anstieg mit zehn Prozent am geringsten ausfallen.
Im Süden und Südosten treten Blitze etwa fünf Monate im Jahr auf. Weniger als im Amazonasgebiet, aber dennoch eine Menge, um Schäden zu verursachen, betont der Forscher. Die Stärke der Blitze im größten Land Südamerikas ist in den offiziellen Aufzeichnungen der Weltorganisation für Meteorologie (OMM) verzeichnet, die den längsten Blitz der Welt, der am 31. Oktober 2018 in Rio Grande do Sul eine horizontale Strecke von 709 Kilometern zurücklegte, als solchen anerkannte. Zur Erstellung der Prognosen stützten sich die Wissenschaftler auf Analysen der zwölf wichtigsten globalen Klimamodelle. Auf der Südhalbkugel steigt die Zahl der Sturmtage pro Grad Temperaturanstieg um fünfunddreißig Prozent. Die Temperatur der Erde ist seit Ende des 19. Jahrhunderts um 1,18 Grad Celsius gestiegen, wobei sich der größte Teil des Anstiegs auf die Jahre ab 1970 konzentriert und die letzten sieben Jahre die wärmsten sind, die jemals aufgezeichnet wurden.
Alle Modelle deuten laut Osmar Pinto Jr. auf den gleichen Trend hin: mehr Hitze und folglich mehr Stürme und Blitze. Ihm zufolge können größere Anstiege in kleinen, lokal begrenzten Regionen oder in Momenten von Klimaphänomenen wie El Niño und La Ninã auftreten. Ein Beispiel dafür ist das vergangene Jahr, als La Niña mehr Stürme erzeugte. Das Ergebnis war die Registrierung von einhundertzehn Millionen Blitzeinschlägen. Die Forscher schätzen, dass siebzig Prozent der Unterbrechungen von Übertragungsleitungen und vierzig Prozent der Energieverteilungsnetze durch Blitze verursacht werden. Und sie warnen davor, dass die Schäden zunehmen werden, wenn keine Unfallverhütungsmaßnahmen getroffen werden. Das Gleiche gilt für die Todesfälle, derzeit etwa einhundert pro Jahr.
Pinto Jr. lenkt die Aufmerksamkeit auch auf die Umweltauswirkungen. Die meisten Blitze, die die Erdoberfläche erreichen, fallen in den tropischen Wäldern. Und die Blitze sind Teil der Walddynamik, denn sie beeinflussen das Volumen der Biomasse und die Struktur der Wälder. Eine Studie amerikanischer Wissenschaftler, die in der Zeitschrift „Global Change Biology“ veröffentlicht wurde, schätzt die Zahl der Bäume in tropischen Wäldern, die jedes Jahr vom Blitz getroffen werden, auf achthundertzweiunddreißig Millionen. Davon gehen etwa einhundertvierundneunzig Millionen innerhalb eines Zeitraums von bis zu einem Jahr an den Folgen der erlittenen Schäden ein.
Ein Blitz kann einen Baum in Brand setzen, aber das Feuer breitet sich nicht aus, weil der Wald sehr feucht ist. Abgestorbene Bäume machen Platz für andere. Wenn jedoch mehr Blitze fallen, als der Wald verkraften kann, ist das Gleichgewicht gestört. Dies geschieht bereits in degradierten Gebieten, wo sich das Feuer ausbreiten und der Wald sich nicht mehr erholen kann. Durch vom Menschen verursachte Klimaveränderungen wie die Abholzung der Wälder im Amazonasgebiet kann die zunehmende Zahl von Blitzen die Waldverluste in einem Teufelskreis verstärken. „Kein Land der Welt sollte ein so großes Interesse daran haben, sich vor den Blitzen zu schützen wie Brasilien“, betont Osmar Pinto Jr.
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