Brasilien: Behörde erklärt Landkäufe der westfälischen Ärzteschaft für illegal

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Die brasilianische Landbehörde hat die Landkäufe des US-amerikanischen Finanzdienstleisters und Rentenversorgungswerks TIAA in der ökologisch sensiblen Cerrado-Region als illegal erklärt (Foto: FIAN)
Datum: 08. Dezember 2021
Uhrzeit: 15:04 Uhr
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Autor: Redaktion
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Die brasilianische Landbehörde hat die Landkäufe des US-amerikanischen Finanzdienstleisters und Rentenversorgungswerks TIAA in der ökologisch sensiblen Cerrado-Region als illegal erklärt. Seit 2012 kritisiert die Menschenrechtsorganisation FIAN die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL) für ihre Beteiligung an den Landkäufen von TIAA über einen Investmentfonds. Ein aktuell veröffentlichter Bericht bestätigt, dass das brasilianische Institut für Agrarreformen (INCRA) seit 2019 eine Annullierung von Landtiteln fordert. Dass die Behörde die Landkäufe von TIAA als illegal eingeschätzt hat, sollte nicht überraschen: Schon 2015 hat FIAN die ÄVWL mit rechtlichen Problemen konfrontiert. Dennoch hält die Ärzteversorgung weiter an den Investitionen fest.

2015 hatte FIAN zusammen mit Partnerorganisationen vor Ort die Überprüfung der Landtitel durch das INCRA angestoßen. Die Ergebnisse aus der INCRA-Stellungnahmen werden nun in einem Bericht der Partnerorganisationen von FIAN detailliert dargestellt. Demnach kommt INCRA zu dem Schluss, die Landkäufe „erfüllten nicht die Voraussetzungen, um von öffentlichem Land in Privateigentum umgewandelt zu werden.“ Die Behörde fordert demnach eine Annullierung. Weiter hält die Behörde fest, dass die Landkäufe über verschachtelte Unternehmensstrukturen faktisch durch ausländisch kontrollierte Firmen getätigt wurden, was zur Zeit der Landkäufe gesetzlich verboten war.

Mehrere der Farmen von TIAA wurden dem INCRA-Bericht zufolge von dem verurteilten Landgrabber Euclides de Carli gekauft. Im Bericht wird eine ganze Reihe dieser Farmen als „illegal aufgekauft“ benannt. Der ÄVWL sind diese Vorgänge zwar lange bekannt. Gegenüber kritischen Nachfragen – auch aus der Ärzteschaft – erklärt sie jedoch, sie gehe davon aus, „dass der Fonds irrtümlich für ein mögliches Fehlverhalten anderer Akteure vor Ort mitverantwortlich gemacht wird.“

Angesichts der politisch extrem schwierigen Arbeit der brasilianischen Behörden, welche gegen Korruption und Repressalien aus der mächtigen Agrarindustrie zu kämpfen haben, ist dies ein bemerkenswerte Entwicklung. „Wir gehen davon aus, dass die überwiegende Mehrheit der Versuche von ländlichen Gemeinden, zu ihrem Recht zu kommen, durch Repression und Gewalt im Keim erstickt wird“, erklärt Roman Herre, Agrarreferent von FIAN Deutschland. „Sich in diesem Kontext viele Jahre lang alleine auf brasilianische Gerichte zu verlassen, wie es die Position der Ärzteversorgung ist, ist realitätsfern“.

Anscheinend um die Annullierung der Landtitel zu verhindern, wurden am 31. Oktober 2019 bei den betreffenden Tochterfirmen Tellus und Radar Veränderungen in der Zusammensetzung der Firmenanteile vorgenommen. 2020 wurde der Fall der Rechtsabteilung der Behörde vorgelegt. Dort versuchten die Vertreter der beiden TIAA-Töchter der Strafverfolgungsbehörde darzulegen, dass die Firmen zum brasilianischen Agrarkonzern Cosan gehörten. Die Bewertung der Illegalität bezieht sich jedoch auf die Firmenstruktur zum Zeitpunkt des Kaufs der riesigen Landflächen.

Die größte Gewerkschaft der amerikanischen Hochschulen und Universitäten United University Professions (UUP) hat TIAA im Januar aufgefordert, sich von den Investitionen in Brasilien zu trennen. Nun hat auch die State University of New York (SUNY) eine ähnliche Resolution verabschiedet. Der Druck in den USA auf diese Landinvestitionen wächst stark. „Auch die Ärzteversorgung sollte mehr als zehn Jahre nach ihrer fatalen Investitionsentscheidung endlich umdenken“, so Roman Herre von FIAN Deutschland. „Obwohl wir in all den Jahren immer neue Informationen und Probleme aufgezeigt haben, scheinen die ÄVWL und ihre Aufsichtsgremien kein Interesse an einer echten Aufarbeitung zu haben.“ FIAN erwartet von der Aufsichtsbehörde der ÄVWL, dem Finanzministerium NRW, endlich die Untätigkeit aufzugeben und substantielle Untersuchungen einzuleiten, um den augenscheinlichen Rechtsverstößen durch die Investitionen aus Deutschland inklusive Menschenrechtsverstößen nachzugehen.

Hintergrund:

• TIAA (ehemals TIAA-CREF) ist eines der größten Versorgungswerke weltweit und verwaltet die Renten von Lehrern und Professoren sowie von Arbeiter*innen in der Unterhaltungsbranche in den USA. 2012 legte es unter dem Namen TIAA-CREF Global Agriculture LLC (TCGA) einen zwei Milliarden US-Dollar schweren Fonds zum Kauf von Farmland weltweit auf. Neben der ÄVWL haben weitere Versorgungswerke weltweit Gelder in den Fonds angelegt. 2015 folgte ein zweiter, drei Milliarden US-Dollar schwerer Farmland-Fonds (TCGA II). Heute werden beide Fonds von der TIAA-Tochter nuveen verwaltet.

• Die ÄVWL ist ein berufsständisches Versorgungswerk, welches für die Alterssicherung von mehr als 50.000 Ärzt*innen und ihrer Familienangehörigen zuständig ist. Es verwaltet ein Vermögen von über 10 Milliarden Euro und hat sich 2012 mit etwa 80 Millionen Euro (100 Millionen USD) an dem Farmland-Fonds TCGA beteiligt.

• Die Region Cerrado in Südost-Brasilien ist eine große artenreiche Savannenregion und das zweitgrößte Ökosystem Brasiliens nach dem Amazonas. Das Savannengebiet verfügt über ein großes und für Brasilien wichtiges Grundwasserreservoir. Die in dem Gebiet lebende Bevölkerung, unter ihnen mehr als 80 indigene Gruppierungen, betreibt vor allem Viehzucht und Landwirtschaft. Durch die zunehmende Erschließung für Rinderfarmen und industrielle Monokulturen für Mais, Soja und Baumwolle ist ein großer Teil der Region bedroht oder bereits zerstört.

• Land als Spekulationsobjekt: Pensionskassen legen mittlerweile über 47 Billionen US-Dollar an, um Rendite für ihre Pensionäre zu erwirtschaften. Auf der Suche nach Diversifizierung ihrer Portfolios und attraktiven, risikoarmen Anlagemöglichkeiten investieren sie zunehmend in Agrarland. Diese neue Jagd nach Land wird auch „Landgrabbing“ bezeichnet.

• Die für die ÄVWL zuständige Aufsichtsbehörde, das Finanzministerium NRW, weigerte sich mehrfach, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und setzt damit ein katastrophales Zeichen in Sachen Menschenrechtspolitik. Auch angesichts der Debatten um nachhaltige Finanzen und Lieferkettengesetz ist dies ein Armutszeugnis.

• „Null Entwaldung“?: Nuveen hatte angesichts anhaltender Kritik 2018 eine Richtlinie zu „Null Entwaldung“ in Brasilien veröffentlicht. Die Richtlinie hört sich gut an, ist jedoch geschickt formuliert. Sie gilt nur für Landflächen, die ab 2018 erworben werden. Dabei hatten die beiden großen Landfonds von nuveen 2018 ihre Investitionen schon vollständig getätigt. Ein substantieller Zukauf von Flächen ist nicht zu erwarten. Zudem werden keine Restriktionen formuliert bezüglich der weiteren Entwaldung von schon erworbenen Flächen. Die Richtlinie ist somit kaum mehr als ein Lippenbekenntnis und ohnehin nicht rechtlich einklagbar.

Weitere Informationen

– Ausführlicher Bericht zu den Recherchen des INCRA

– FIAN-Studie zum Fall: Brasilien – Pensionskassen machen Geschäfte mit Ackerland

– FIAN Infografik zur Investitionskette

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