Am Wochenende hat die „New York Times“ ein Projekt veröffentlicht, das seit einem Jahr in Arbeit ist und versucht, eine einfache Frage zu beantworten: Wie viel besser würde es Haiti heute gehen, wenn ausländische Mächte das Land nicht über Generationen hinweg ausgeplündert hätten, nachdem die Haitianer das Joch der Sklaverei abgeworfen hatten? Die „Times“ enthüllte damit, wie das Nachbarland der Dominikanischen Republik zum ärmsten Land Amerikas wurde. Die Antwort ist natürlich alles andere als einfach. Aber anhand von Tausenden von Seiten an Originaldokumenten, von denen einige in Archiven auf drei Kontinenten verstauben und unter der Anleitung prominenter Historiker und Wirtschaftswissenschaftler hat die „Times“ herausgefunden, dass eines der ärmsten Länder der Welt heute ganz anders aussehen könnte, wenn die Franzosen nicht unter Kriegsdrohung schwindelerregende Geldsummen gefordert hätten, nachdem Haiti vor mehr als zwei Jahrhunderten seine Unabhängigkeit erklärt hatte.
Das Projekt „Das Lösegeld“ erzählt die Geschichte des ersten Volkes der modernen Welt, das sich aus der Sklaverei befreite und eine eigene Nation gründete. Sie bezahlten für diese Freiheit zunächst mit Blut und dann waren sie gezwungen, erneut dafür zu bezahlen – in bar. Haiti wurde zum einzigen Land der Welt, in dem die Nachkommen von versklavten Menschen Reparationszahlungen an die Nachkommen ihrer Herren leisteten, und das über Generationen hinweg. Die „Times“ verfolgte jede Zahlung, die Haiti im Laufe von vierundsechzig Jahren leistete und berechnete, dass Haiti am Ende rund fünfhundertsechzig Millionen in heutigen US-Dollar zahlte. „Wenn man bedenkt, was dieses Geld der haitianischen Wirtschaft im Laufe der Jahrhunderte hätte bringen können, ergibt sich ein Verlust von einhundertfünfzehn Milliarden US-Dollar für Haiti – ein Vielfaches der heutigen Wirtschaftsleistung“, so die „Times“.
Die Reaktion auf das Projekt kam sofort
„Ich lebe in Haiti und ich bin gerade hier“, kommentierte ein Leser. „Heute haben wir Glück: Wir haben seit ein paar Stunden Strom“. Die Lektüre der Artikel, so der Kommentator, mache deutlich, dass die jungen Menschen in Haiti „schon lange vor ihrer Geburt beraubt wurden“.
Patrick Gaspard, ein ehemaliger US-Diplomat, der jetzt das liberale Center for American Progress leitet, forderte auf Twitter Reparationen von der Citigroup, deren Vorgängerbank, wie die Times berichtete, Anfang des 20. Jahrhunderts große Gewinne aus Haiti zog. „Große Profite in Haiti gemacht. Ein stummer Schrei geht seit Jahrzehnten durch die Kehlen über die Rolle, die die USA bei der Ausbeutung Haitis gespielt haben. Endlich ein paar Wahrheiten“, so Gaspard.
Frankreich selbst hatte wenig zu „The Ransom“ zu sagen. Das liegt zum Teil daran, dass sich das Land mitten in der Bildung einer neuen Regierung befindet. Aber wie die „Times“ feststellte, ist die Geschichte des Landes in Haiti – oder jegliches Gerede über die Entschädigung der Haitianer für ihre Verluste – nichts, worüber die Franzosen gerne sprechen.
Was wäre wenn jemand sich mit der Frage befassen würde, wieviel eigenes institutionelles Versagen im eigenen Land für die ständige Misere des Landes mitverantwortlich ist?
Die Opferjacke anzuziehen ist immer ein einfacher Akt und – ja- ach so publikumswirksam….
Institutionelles Versagen ist zu erwarten, wenn einem Staat die finanziellen Mittel langfristig entzogen sind. Tun wir nicht so als, als ob die haitianische Entschädigungszahlungen über 122 Jahre lang (bis 1947) berechtigt wären
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Haiti_indemnity_controversy
Haïti ist derzeit alles andere als stabil. Es ist zu befürchten, dass sich die Lage noch mehr verschlechtert. Die Dominikanische Republik unternimmt indessen grosse Anstrengungen, um die illegale Zuwanderung aus Haïti im Griff zu behalten. Das ist unumgänglich, um zB den prosperierenden Tourismus nicht zu gefährden. Mit anderen Worten, die Grundlage für eine schwungvolle Tourismusindustrie ist ein stabiles ruhiges Land, welches zu einem gewissen Grad Sicherheit bieten kann. Vor diesem Hintergrund wäre es fatal, wenn zusätzlich noch ausländische Partikularinteressen gegen die Stabilität eines dieser beiden Länder bzw der ganzen Insel wirken würden.