Der linke Kandidat Gustavo Petro hat in der zweiten Runde der kolumbianischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag (19.) mit 50,49 Prozent die meisten Stimmen erhalten und damit einen historischen Sieg für die Linke errungen, die zum ersten Mal Zugang zur „Casa de Nariño“, dem Sitz des kolumbianischen Präsidenten, erhalten hat. Gustavo Petro war von Beginn des Wahlkampfes an der große Favorit bei diesen Wahlen. Der Kandidat des „Pacto Histórico“ tritt mit einem Programm an, das sich auf einen radikalen Wandel des kolumbianischen Wirtschaftsmodells weg von Öl und Kohle konzentriert. Das Projekt von Petro spiegelt weitgehend die Forderungen der großen sozialen Proteste wider, die zwischen 2019 und 2020 die Hauptstraßen Kolumbiens erschütterten und einen politischen Umbruch ähnlich wie in Ländern wie Chile, Ecuador und Peru auslösten. Die Unzufriedenheit hat sich in einem Programm mit dem Titel „Kolumbien, Weltmacht des Lebens“ niedergeschlagen, das Kernpunkte wie die Agrarreform und die Reform der Sicherheitskräfte sowie die Einhaltung der 2016 mit der inzwischen aufgelösten FARC-Guerilla unterzeichneten Friedensvereinbarungen beinhaltet, die von der Regierung des derzeitigen Präsidenten Iván Duque verhöhnt werden.
Sein Programm sieht eine radikale Änderung des Wirtschaftsmodells vor, die auf der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion nach einer Agrarreform beruht, um die Ungleichheit zu bekämpfen. In Kolumbien befindet sich mehr als die Hälfte des Bodens in den Händen einer privilegierten Minderheit von weniger als zwei Prozent der Bevölkerung. Petros Kandidatur umfasst Maßnahmen gegen Fracking, den Schutz der natürlichen Ressourcen, die Reform der privaten und öffentlichen Rentenfonds, ein Mindesteinkommen, die Förderung erneuerbarer Energien und eine Steuerreform. Besonderes Augenmerk wird in dem Text auf die Förderung paritätischer Maßnahmen gelegt, einschließlich des Vorschlags, dass fünfzig Prozent aller öffentlichen Positionen auf allen Machtebenen mit Frauen besetzt werden sollen und dass ein Gleichstellungsministerium mit der Ausarbeitung derartiger Maßnahmen betraut werden soll.
„Pacto Histórico“ hat auch versprochen, die „Entmilitarisierung des gesellschaftlichen Lebens“ voranzutreiben und die umstrittene „Escuadrón Móvil Antidisturbios“ (ESMAD) aufzulösen, die wegen ihrer Rolle bei der Unterdrückung der Proteste in den Jahren 2019 und 2020 sowohl im In- als auch im Ausland in der Kritik steht. Zu den weiteren Vorschlägen von Petro gehören die vollständige Umsetzung des Friedensabkommens, der Schutz sozialer und bäuerlicher Führungspersönlichkeiten vor Gewalt durch bewaffnete Gruppen, die Abschaffung militärischer Privilegien und die Überwachung von Ermittlungsverfahren bei Verbrechen, die von der Armee begangen wurden, sowie die Möglichkeit, einen Dialog mit der Guerilla der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) einzuleiten.
Venezuela 2.0 ???
So wie es aussieht bleibt es wohl bis auf Weiteres dabei: Der Lateinamerikanische Kontinent ist tief gespalten, erheblich zerstört von Drogenhandel, noch erheblicher zerfressen von der übelsten Korruption, Menschenverachtung der Oligarchie nebst der sog. „Eliten“ und leidet unter nicht enden wollenden Machtkämpfen. Weder „links“ noch „rechts“ können oder werden echte Lösungen aufgezeigt, geschweige denn, dass diese stattfinden – stattdessen profitiert das eine Lager vom Versagen des anderen. Lateinamerika ist „so polarisiert wie seit den Militärdiktaturen und Bürgerkriegen der 70er und 80er Jahre nicht mehr“, hat schon ein Artikel in der Zeitschrift „Internationale Politik und Gesellschaft“ (IPG) die Lage im vergangenen Jahr beschrieben. Eine ggfs. vorhandene politische Mitte hat keine Chance, sie wird regelmäßig zwischen den beiden Extremen aufgerieben und in den Medien gehen die als überwiegend konturlos empfundenen Christ- und Sozialdemokraten einfach unter.