Seit der ersten Entdeckung im Jahr 2015 hat ein Konsortium unter der Leitung des US-amerikanischen Ölkonzerns „Exxon Mobil“ zusammen mit den Partnern „Hess Corp“ und dem chinesischen Unternehmen „CNOOC“ rund elf Milliarden Barrel Öl und Gas vor der Küste von Guyana gefunden (Barrel ist die gebräuchlichste Einheit für Rohöl und beschreibt ein historisches Fass mit ca. einhundertneunundfünfzig Litern). Auf der Grundlage der derzeitigen Expansionspläne geht die Gruppe davon aus, dass sie bis zum Jahr 2027 täglich 1,2 Millionen Barrel Öl aus ihren Liegenschaften fördern wird, womit Guyana das benachbarte Venezuela sowie alle Ölproduzenten in Afrika mit Ausnahme von Nigeria in der Produktion übertreffen würde. Damit hätte der englischsprachige Staat im Norden Südamerikas an der Atlantikküste auch die höchste Pro-Kopf-Ölproduktion der Welt, noch vor reichen Golfstaaten wie Kuwait, Katar und Saudi-Arabien.
Für das kleine, arme südamerikanische Land gibt es keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, um die Früchte seiner Offshore-Ölquelle zu ernten. Angesichts himmelhoher Ölpreise, eines bevorstehenden Übergangs zu erneuerbaren Energien und 750.000 Bürgern, die verzweifelt nach einem besseren Leben streben, gibt Guyana Gas, um seine riesigen Ölreserven auszubeuten, auch wenn das bedeutet, dass es auf langfristige Gewinne verzichten muss. Guyana, das bereits Verträge mit Ölgesellschaften abgeschlossen hat, die als zu einseitig kritisiert wurden, hatte gehofft, eine staatliche Ölgesellschaft gründen zu können, die die nächste Phase der Erschließung steuert und eigene seismische Untersuchungen von unerforschten Feldern durchführt, um so die bestmöglichen Erträge zu erzielen. Diese Pläne wurden jedoch auf Eis gelegt, da die Regierung mit der Tatsache konfrontiert ist, dass Guyana nicht über die Fähigkeiten oder Ressourcen verfügt, um sie schnell umzusetzen und stattdessen auf Schnelligkeit statt auf Sicherheit setzt, wie hochrangige Beamte gegenüber „Reuters“ erklärten.
Während Exxon 2019 sein erstes Öl in Guyana förderte und die Produktion hochfährt, steht die Regierung, die vor fast zwei Jahren mit einer knappen Mehrheit im Parlament an die Macht kam, unter Druck, die wirtschaftliche Entwicklung zu beschleunigen. Die von der vorherigen Regierung im Jahr 2016 unterzeichneten Vereinbarungen zur Produktionsaufteilung teilen die Ölgewinne je zur Hälfte zwischen dem Exxon-Konzern und Guyana auf, wobei fünfundsiebzig Prozent der Einnahmen zunächst zur Deckung der Kosten der Ölgesellschaften verwendet werden. Damit verbleiben Guyana nur 12,5 Prozent der Produktion plus zwei Prozent Lizenzgebühren. Sein Anteil wird steigen, wenn die Entwicklungskosten sinken, was mehrere Jahre dauern kann.
In diesem Jahr wird die Regierung zum ersten Mal die Öleinnahmen zur Finanzierung neuer Schulen, Straßen und eines Kraftwerks verwenden. Allerdings wird das Land im Jahr 2022 ein Defizit von rund vierhundertsiebzig Millionen US-Dollar aufweisen, wovor der Internationale Währungsfonds gewarnt hat. Aus diesem Grund möchte Guyana die Exploration und Förderung in unerschlossenen Offshore-Blöcken außerhalb der Domäne von „Exxon“ vorantreiben, möglicherweise zu besseren Bedingungen. Die Umstellung auf erneuerbare Energien und die Bemühungen um die Reduzierung der Emissionen fossiler Brennstoffe rücken ebenfalls in den Mittelpunkt des Interesses. Guyana habe jedoch noch nie eine Auktion für Bohrrechte durchgeführt und verfügt nicht über die notwendigen Fähigkeiten, um eine solche Auktion ohne ein externes Unternehmen durchzuführen. Das derzeitige Ziel ist es, im September dieses Jahres mit dem Angebot neuer Blöcke zu beginnen. Die Gründung einer staatlichen Ölgesellschaft oder die Durchführung von Erhebungen hat den Zeitplan jedoch verzögert. Eine Alternative zu einer Versteigerung, die noch in Erwägung gezogen wird, wäre die Auswahl eines externen Partners für die Finanzierung und den Betrieb eines Unternehmens, an dem die Regierung Guyanas beteiligt ist.
Die mehr als dreißig Explorationserfolge, die „Exxon“ bisher erzielt hat, haben mehrere Angebote anderer Unternehmen angezogen, die in die unerforschten Gebiete investieren wollen. Eine Delegation von etwa vierzig Vertretern aus Saudi-Arabien hielt sich letzte Woche zu einer Investitionskonferenz in Georgetown auf. Der staatliche Ölriese „Saudi Aramco“ aus dem Golfkönigreich erhielt im September einen Einjahresvertrag für die Vermarktung von Guyanas Öl. Zwei Kandidaten für zusätzliche Verträge sind „Qatar Energy“ (QATPE.UL) und „Abu Dhabi National Petroleum Company“. In der Küstenhauptstadt gibt es Anzeichen für den neuen Reichtum Guyanas. Ein neues 12-stöckiges Hotel, das von der lokalen Gruppe Pegasus gebaut wurde, wird bald eröffnet und ist nun das höchste Gebäude in der ehemaligen britischen Kolonie, die lange Zeit von landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Zucker, Reis und Kokosnüssen lebte. Weitere Hotels werden folgen, obwohl die Hauptstadt immer noch von Stromausfällen und lückenhafter Telekommunikation geplagt ist.
Offshore haben „Exxon“ und seine Partner große Pläne. Mehr als dreihundert Arbeiter sind an Bord der ersten beiden von möglicherweise bis zu zehn schwimmenden Produktionsschiffen. Die Schiffe, die größer sind als das neue Hotel in Georgetown, kosten jeweils rund zwei Milliarden US-Dollar und verfügen über Unterkünfte, Fitnessstudios, Restaurants und Unterhaltungsbereiche. Die Unternehmensberatung „Ernst & Young Services“ schätzt, dass die Wirtschaft Guyanas ohne Öl in diesem Jahr um gesunde 7,7 Prozent wachsen wird, auch wenn dies deutlich unter dem Wachstum von 47,5 Prozent liegt, das sie für das Bruttoinlandsprodukt Guyanas, einschließlich Öl, erwartet. Anfang 2022 förderte das Konsortium 120.000 Barrel Öl pro Tag (bpd) und plant, bis Ende des Jahres 360.000 Barrel zu erreichen. Das Unternehmen bereitet ein drittes Schiff vor, das bis Ende 2023 – sechs Monate früher als geplant – 250.000 bpd fördern soll und hat Pläne vorgelegt, zehn Milliarden US-Dollar für die Erschließung eines vierten Offshore-Gebiets mit einem weiteren Schiff auszugeben. Zusammen sollen die vier Schiffe bis 2025 rund 800.000 bpd produzieren, mehr als die Jahresproduktion von Venezuela, das über die größten Ölreserven der Welt verfügt. Die Gruppe will bis 2027 sechs Schiffe mit einer Kapazität von 1,2 Millionen bpd haben.
Leider kein Kommentar vorhanden!