Das Chaos, das der Hurrikan „Ian“ auf Kuba hinterlassen hat und der Zusammenbruch des Elektrizitätssystems sowie die Probleme bei der Wasserversorgung und der Telekommunikation schüren die latente Unzufriedenheit, die nach Jahren der Wirtschaftskrise auf der kommunistisch regierten Karibikinsel herrscht. Am Freitagabend (30.) Ortszeit haben die Bewohner verschiedener Stadtteile Havannas beschlossen, erneut auf die Straße zu gehen, um gegen die anhaltenden Stromausfälle zu protestieren, die seit mehr als zweiundsiebzig Stunden in mehreren Teilen der Insel andauern. Neben dem Mangel an Strom hat die Diktatur von Miguel Díaz Canel die Zensur verschärft und den Internetzugang eingeschränkt, um eine Ausbreitung der Proteste zu verhindern. Die Demonstrationen gegen das Regime und die Wirtschaftskrise verbreiteten sich jedoch schnell im Internet.
Die Überwachungsinitiative „Netblocks“ berichtete, dass nach 20:00 Uhr Echtzeit-Netzdaten zeigten, dass die Internetverbindung auf der Insel abrupt unterbrochen wurde. Mit Rufen wie „Freiheit, Freiheit“ blockierten die Kubaner einige Straßen und Stadtbezirke in Havanna, um die Wiederherstellung von Internet- und Stromdiensten zu fordern und die politische Polizei des Regimes zurückzudrängen. Die Proteste begannen am Morgen in La Palma und Calzada de Bejucal, in der Gemeinde Arroyo Naranjo, und schlossen sich später Puentes Grandes, in Playa, an, wo es seit zweiundsiebzig Stunden keinen Strom mehr gibt. Mehrere Videos, die in den sozialen Medien kursieren, zeigen eine Menschenmenge in Arroyo Naranjo mit Töpfen und Pfannen, die das Regime auffordert, die Energiekrise des Landes zu lösen. „Nieder mit der Diktatur, genug ist genug“, ruften die Demonstranten. Neben der Menge stehen mehrere Polizeibeamte, die es allerdings nicht wagen, einzugreifen.
Drei Tage nach dem Durchzug des Hurrikans „Ian“ der Kategorie 3, der den äußersten Westen der Insel verwüstete und drei Tote und umfangreiche Sachschäden hinterließ, hat sich das Land kaum von dem totalen Stromausfall erholt, den es am Dienstag (27.) erlitt. Die meisten der 11,1 Millionen Einwohner Kubas haben höchstens einige Stunden am Tag Strom, die meisten Geschäfte und Tankstellen bleiben geschlossen und das Pumpen von fließendem Wasser wurde eingestellt. Die staatliche „Unión Eléctrica“ (UNE) gab bekannt, dass es ihr gelungen sei, das nach dem „Null-Erzeugungs-Ereignis“ vom Dienstag zerrissene Netz wieder zu vereinheitlichen, räumte aber auch Schwierigkeiten jenseits der Stromleitungen ein: Sieben der vierzehn Kraftwerke des Landes sind abgeschaltet, darunter die beiden größten. Die Proteste vom Freitag folgen auf Proteste in Camagüey (Osten), Batabanó (Westen) und in armen Vierteln Havannas wie El Cerro, Arroyo Naranjo und San Miguel del Padrón.
Kuba befindet sich seit zwei Jahren in einer schweren Krise, die auf das Zusammenwirken von Pandemie und Fehlern in der Wirtschafts- und Währungspolitik zurückzuführen ist. In dieser Zeit ist der Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten chronisch geworden, die Warteschlangen haben sich vervielfacht, der Wert des Peso ist auf dem informellen Markt gesunken und die Inflation ist in die Höhe geschnellt. Spezialisierte Plattformen wie „Netblocks“, „Internet Outage“ und „Cloudflare Radar“ prangerten an, dass das kubanische Regime den Internetverkehr von der Insel seit 20:00 Uhr Ortszeit fast vollständig blockiert hat. Diese spezialisierten Organisationen und mehrere Aktivisten waren sich einig, dass dies ein Versuch war, die Proteste zum Schweigen zu bringen und ihre Ausbreitung zu verhindern, da es normal ist, dass sie live im Netz übertragen werden. Die kubanische Diktatur gab keine Erklärung für den Vorfall ab und die offiziellen Medien berichteten nicht darüber.
Update, 2. Oktober
In Havanna gab es am Samstag, vier Tage nach dem Durchzug des Hurrikans Ian, erneut Proteste gegen die fehlende Stromversorgung. Die Kundgebung, an der mehrere hundert Personen teilnahmen, fand zwischen den Straßen „Calles 23“ und „F“ im Stadtteil Vedado statt, einem der Orte, an denen der Strom noch nicht wiederhergestellt ist. Die Demonstranten riefen mehrmals „Freiheit, Freiheit!“ und auch Parolen gegen Mitglieder des kubanischen Regimes.
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