Der Besuch des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva am Freitag (10.) in Washington ist die wichtigste Reise in einer Reihe von diplomatischen Treffen der letzten Zeit. Sie zielen darauf ab ein Signal zu senden, dass Brasilien wieder auf der Weltbühne präsent ist. Lulas Vorgänger, Jair Messias Bolsonaro, hatte das südamerikanische Land isoliert. Im Mittelpunkt der Gespräche in Washington werden der Krieg in der Ukraine und die komplizierten Beziehungen zwischen den USA und China stehen. In beiden Fällen hat Brasilien eine eigene neutrale Position eingenommen. In einem Interview mit der „Deutsche Welle“ (DW) erklärt Guilherme Casaroes, Professor für Außenpolitik an der Getulio-Vargas-Stiftung in São Paulo, dass Brasiliens diplomatische Tradition darin besteht, eine neutrale Haltung zwischen den Machtblöcken einzunehmen. Brasilia ist bestrebt, „gute Beziehungen mit der ganzen Welt zu unterhalten und sich als potenzieller Vermittler in Konfliktfällen zu positionieren“, sagt er.
Land des Friedens
So hat Lula zum Beispiel einerseits den Invasionskrieg von Wladimir Putin in der Ukraine verurteilt. Andererseits hat er sich jedoch geweigert, die von Bundeskanzler Olaf Scholz geforderte Munition für Leopard-2-Panzer zu liefern. Der brasilianische Präsident begründete sein Veto damit, dass Brasilien „ein Land des Friedens“ sei. Seinen letzten Krieg führte das größte Land Südamerikas 1865 gegen Paraguay. Die Entscheidung Lulas ist jedoch wahrscheinlich auch auf wirtschaftliche Erwägungen zurückzuführen. Die brasilianische Agrarindustrie ist existenziell auf Düngemittel aus Russland und Weißrussland angewiesen.
China, ein strategischer Partner
China, der wichtigste geopolitische Gegner der Vereinigten Staaten, ist der größte Handelspartner Brasiliens, betont der Politikwissenschaftler Carlos Melo vom Instituto de Ensino e Pesquisa Insper in Sao Paulo. Das südamerikanische Land exportiert große Mengen an Sojabohnen, Fleisch und Eisenerz in den asiatischen Riesen, während China Infrastrukturprojekte in Brasilien finanziert. Laut Melo will die chinesische Zentralbank grenzüberschreitende Transaktionen sowie die Investitionstätigkeit erleichtern. Daher seien gute Beziehungen sowohl zu Peking als auch zu Washington für Brasilia von vitalem Interesse. Lula hat vorgeschlagen, dass China und Brasilien eine wichtige Rolle bei der internationalen Friedensinitiative in der Ukraine spielen. Der südamerikanische Präsident beharrt auf der Notwendigkeit von Friedensverhandlungen. „Lulas außenpolitische Vorschläge sind in der Regel ehrgeizig“, sagt Guilherme Casaroes. „Er ist überzeugt, dass er ein großartiger Vermittler ist, was mit seiner Vergangenheit als Gewerkschafter zusammenhängt. Allerdings überschätzt er seine diplomatischen Fähigkeiten, meint er. Im März wird Lula nach China reisen, um Präsident Xi Jinping zu treffen.
Vor US-Präsident Joe Biden wird Lula wahrscheinlich auch auf dem Recht Brasiliens bestehen, ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu werden. Der Journalist Thomas Traumann von der Getulio-Vargas-Stiftung in Rio de Janeiro glaubt, dass der südamerikanische Staatschef in den Verhandlungen mit Washington und Brüssel die Bedeutung des Amazonasgebiets für die globale Klimastabilität argumentieren wird. Lula hat betont, dass der Schutz dieses Ökosystems eine Priorität für seine Regierung ist. Brasilia möchte auch Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) werden.
Führungsrolle in Lateinamerika
Um seine globalen Ambitionen verfolgen zu können, muss Lula jedoch zunächst die Führungsrolle Brasiliens in Lateinamerika wiederherstellen. Im Januar reiste er nach Buenos Aires zu einem Treffen der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac), die Bolsonaro vor zwei Jahren verlassen hatte. Die Konsolidierung der regionalen Führungsrolle Brasiliens wird auch davon abhängen, ob es Lula gelingt, den Austritt Uruguays aus dem Mercosur und die Aushandlung eines bilateralen Abkommens mit China zu verhindern. Das Freihandelsabkommen zwischen dem Mercosur und der EU hat für Lula Priorität, sagt Carlos Melo: „Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch, weil es internationales Prestige bringt“. Schließlich glaubt Casaroes, dass Lula versucht, ein außenpolitisches Vermächtnis zu hinterlassen: „Er regiert eine tief gespaltene Gesellschaft und über den Kampf gegen den Hunger hinaus wird es schwierig sein, ein großes innenpolitisches Vermächtnis zu hinterlassen. Er wird versuchen, dies im Bereich der Außenpolitik zu tun.
Der Krieg 1865 gegen Paraguay war der letzte Brasiliens in Südamerika. Danach nahm Brasilien aber von 1942 bis 1945 mit hohem Blutzoll in Italien am 2. Weltkrieg gegen Hitler Teil, blieb also keineswegs „neutral“.