Waffendebatte in Brasilien neu entfacht

taurus

Trotz der vollständigen Öffnung des brasilianischen Marktes für ausländische Unternehmen in den letzten Jahren und der damit verbundenen Lockerung der Einfuhrbestimmungen sind die Hersteller "Taurus" und "Companhia Brasileira de Cartuchos" (CBC) nach wie vor die absoluten Marktführer beim Waffenverkauf im größten Land Südamerikas (Fotos: Taurus/CBC)
Datum: 26. Februar 2023
Uhrzeit: 12:39 Uhr
Leserecho: 2 Kommentare
Autor: Redaktion
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Ein schreckliches Massaker in einer Bar in Sinop (Bundesstaat Mato Grosso) am Dienstag nach einer Schlägerei während eines Billardspiels hat die Debatte in Brasilien über die Liberalisierung des Waffenrechts neu entfacht. Sie war von der vorherigen Regierung von Jair Messias Bolsonaro nachdrücklich befürwortet und wird nun von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva blockiert. Bei dem Massaker wurden sieben Menschen getötet, darunter ein 12-jähriges Mädchen. Der einzige Festgenommene – der andere Angreifer starb bei einer Schießerei mit der Polizei – ist Edgar Ricardi de Oliveira, der im so genannten „CAC-Register“ eingetragen ist, das drei Kategorien für das Tragen von zivilen Waffen anerkennt: Sammler, Sportschützen und Jäger. Unvermeidlich entbrennt nun eine Kontroverse, da sich viele fragen, wie Ricardi de Oliveira, der eine Vorgeschichte mit häuslicher Gewalt hat, die Erlaubnis erhalten konnte, legal Waffen in seinem Haus aufzubewahren. Diese Zweifel sind umso berechtigter, als eine 2019 erfolgte Änderung des als „Maria Penha“ bekannten Anti-Frauenmord-Gesetzes vorsieht, dass die Behörden verpflichtet sind, die Waffen einzuziehen, wenn der Angreifer einen Waffenschein besitzt.

Der Fall von Ricardi de Oliveira ist leider kein Einzelfall. Dutzende von Morden oder Mordversuchen in den letzten Monaten haben die ganze Gefährlichkeit der Politik der Vorgängerregierung von Bolsonaro gezeigt, die ganz auf die Liberalisierung von Waffen setzt und sich am gescheiterten US-amerikanischen Modell orientiert, wo Schießereien an der Tagesordnung sind, die oft zu Tragödien in Schulen oder auf öffentlichen Plätzen führen. Im Bundesdistrikt (DF), dem Bundesstaat, in dem sich die Hauptstadt Brasilia befindet, sind nach Angaben des Sekretariats für öffentliche Sicherheit des DF fast die Hälfte der bei Femiziden verwendeten Waffen legal registriert. Nach Bolsonaros Dekreten können die Verantwortlichen für Schießstände bis zu 60 Waffen besitzen. Davon könnten 30 Waffen mit eingeschränktem Verwendungszweck sein, wie z. B. Gewehre. In den vier Jahren der vorherigen Regierung wurden in Brasilien rund 1.600 Waffen- und Munitionsgeschäfte eröffnet. Die Zahl der Bürger mit Waffenscheinen stieg von 350.000 im Jahr 2018 auf 1,2 Millionen im Jahr 2022, so die Daten des Instituts Sou da Paz, einer Nichtregierungsorganisation, die seit Jahren die Verbreitung von Waffen in Brasilien beobachtet. Dies entspricht einem Wachstum von 259 Prozent.

Mato Grosso, der Bundesstaat, in dem sich das Massaker ereignete, war nach Amazonien die zweitgrößte Region mit einem exponentiellen Wachstum der Anzahl der Waffenlizenzen um 626 Prozent, von etwas mehr als 8.000 im Jahr 2018 auf 65.300 im Jahr 2022. Insgesamt beläuft sich die Zahl der privat genutzten Waffen nach Angaben des Igarapé-Instituts, einer weiteren Nichtregierungsorganisation, die sich mit öffentlicher Sicherheit befasst, auf rund 3 Millionen. Im Jahr 2018 lag die Zahl der Waffen in zivilem Besitz bei nur 1,3 Millionen. Hinzu kommt ein ganzer illegaler Markt, der von brasilianischen Gruppen der organisierten Kriminalität gespeist wird, die seit einiger Zeit auch mit 3D-Druckern experimentieren, um Waffenteile zusammenzubauen und zu warten. Zur Frage der Waffen in den Händen des organisierten Verbrechens hat die Regierung Lula bisher keine Pläne bekannt gegeben, was die politische Debatte weiter anheizt. Nach Angaben des Instituts Fogo Cruzado, einer Nichtregierungsorganisation, die sich mit Gewalt in Städten befasst, haben die Schießereien in der Metropolregion Rio de Janeiro im Januar 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 29 Prozent zugenommen, was die Dringlichkeit einer wirksamen städtischen Sicherheitspolitik verdeutlicht.

Zu den Maßnahmen der neuen Regierung Lula gehört ein Dekret, das der Präsident am Tag seiner Amtseinführung unterzeichnete, um den gefährlichen Trend zur Liberalisierung der zivilen Waffen einzudämmen. Der Text sieht die Aussetzung von CCW-Registrierungen vor, begrenzt die Gesamtzahl der erlaubten Waffen und Munition und setzt alle neuen Lizenzen für Schießstände aus. Außerdem wird eine Neuregistrierung der seit Mai 2019 erworbenen Waffen verlangt. Die Auswirkungen des Dekrets waren unmittelbar spürbar. Im Vergleich zum Januar 2022 ging die Zahl der für den zivilen Gebrauch erworbenen und registrierten Waffen sofort um 71 Prozent zurück. Die Debatte ist jedoch heftig, da es im Kongress eine regelrechte Waffenlobby gibt, eine Gruppe kampferprobter Abgeordneter und Senatoren, die die Regierung Bolsonaro unterstützt haben und nun gegen Lulas Maßnahmen sind. Seit dem 17. Januar haben 34 Abgeordnete und zwei Senatoren 17 Gesetzesentwürfe oder Gesetzesdekrete eingebracht, die auf die Wiederherstellung der Waffenliberalisierung abzielen. Die gleiche Opposition ist auch auf der Ebene der Landesregierungen zu verzeichnen. Zu den lautstärksten Gegnern von Lulas Dekret gehört der Sohn des ehemaligen Präsidenten Eduardo Bolsonaro, der den Text als verfassungswidrig bezeichnete, „weil er die Grenzen der Funktion des Präsidenten überschreitet und Arbeitslosigkeit schaffen kann“. Laut Bolsonaros Sohn „schafft allein die Waffen- und Munitionsindustrie 70.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze, fakturiert mehr als 6 Milliarden Reais pro Jahr (1,15 Milliarden Dollar), exportiert 2,7 Milliarden Reais (520 Millionen Dollar) und generiert mehr als 1,9 Milliarden Reais an Steuerzahlungen (360 Millionen Dollar)“.

Die Idee der Selbstverteidigung als Grundlage der Politik der Waffenliberalisierung ist auch das Arbeitspferd des meistgewählten Kongressabgeordneten des Landes, Nikolas Ferreira, 26, von Bolsonaros Liberaler Partei (PL). Die Frage ist nun, wie viel Macht dieser politische Block im Kongress haben wird, um sein Ziel zu erreichen und die Waffenliberalisierung in Brasilien wiederherzustellen. Theoretisch kann die Legislative ein Dekret zugunsten der Wiedereinführung von Waffen verabschieden, aber laut Gesetz müsste es dann den Obersten Bundesgerichtshof (STF) passieren, der die Macht hat, es zu kippen. Kürzlich hat die Entscheidung eines Ministers des STF, Gilmar Mendes, gezeigt, dass der Oberste Gerichtshof heute bestrebt ist, „den Trend der schwindelerregenden Lockerung der Regeln für den Zugang zu Waffen in Brasilien zu bremsen“, wie der Richter selbst erklärte. Für Mendes ist Lulas Dekret nicht verfassungswidrig, sondern ganz im Gegenteil, und die STF wird es daher in Kraft lassen. Im Kongress wird also in den kommenden Monaten ein schwieriges Spiel zwischen der Regierung und der Opposition stattfinden, die neben dem Vorwurf der „Verfassungswidrigkeit“ auch andere Kritikpunkte vorbringen muss. Auf dem Spiel steht ein wichtiger Bereich der nationalen Sicherheit, der, wie viele internationale Beispiele zeigen, von der Waffenliberalisierung überhaupt nicht profitiert.

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  1. 1
    Bernhard Classen

    Was gegen Auswüchse der Kriminalität hilft sind nicht mehr Waffen sondern Maßnahmen wie in El Salvador /San Salvador.

  2. 2
    Paul Landmesser

    Unglaublich! Kaum ist Lula im Amt, schießen die Morde wieder nach oben, nachdem sie unter Bolsonaro massiv zurückgegangen sind! Und was macht Lula?! Er geht auf die seriösen, legalen Waffenbesitzer los, anstatt sich um die Millionen illegaler Waffen im Besitz von Kriminellen zu kümmern! Was für ein Versager!

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