Lateinamerika: Ein Kontinent der Ungleichheit

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Umfassende Landreformen zugunsten von kleinbäuerlichen, indigenden und afrodeszenten Gemeinden sind unerlässlich( Foto: Wenderson Araujo/Trilux)
Datum: 15. April 2023
Uhrzeit: 12:26 Uhr
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Autor: Redaktion
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Anlässlich des Internationalen Tags der Landlosen am 17. April weist FIAN Deutschland auf die hohe Landkonzentration in Lateinamerika hin. Angesichts der Schwierigkeiten indigener und bäuerlicher Gemeinden beim Zugang zu Land macht die Menschenrechtsorganisation auf die dringende Notwendigkeit von Agrarreformen aufmerksam. Diese sollten auch Priorität der deutschen Lateinamerikapolitik sein. Lateinamerika ist der Kontinent mit der größten Ungleichheit bei der Landverteilung. Etwa ein Prozent der größten landwirtschaftlichen Betriebe beanspruchen mehr als die Hälfte der produktiven Fläche. Gleichzeitig liegen weniger als 13 Prozent des Agrarlands in den Händen kleinbäuerlicher Strukturen – obwohl diese knapp 80 % aller Betriebe des Kontinents ausmachen. Die ungleiche Verteilung von Land hat einen historischen Ursprung, der weit bis in die Zeit europäischer Kolonialisierung zurückreicht. Eine Vielzahl lang andauernder bewaffneter Konflikte und Militärputsche ist eng mit der Landfrage verknüpft.

„Die unsoziale Landkonzentration ist das Ergebnis eines Wirtschaftsmodells, das auf der unregulierten Ausbeutung natürlicher Ressourcen beruht. Ob beim Bergbau, Projekten zur Energiegewinnung oder dem Anbau exportorientierter Monokulturen – immer wieder müssen wir feststellen, wie Geschäftsinteressen über die Menschenrechte gestellt werden. Zu den Profiteur*innen gehören auch deutsche Unternehmen, die billige Agrar- und Industrierohstoffe aus Lateinamerika beziehen“, so Marian Henn, Lateinamerikareferent von FIAN. „Land ist keine Ware, sondern ein wesentlicher Faktor für die Verwirklichung vieler Menschenrechte. Trotzdem richtet sich die Agrarpolitik häufig an den Interessen von Großgrundbesitz und Agro-Business aus. Umfassende Landreformen zugunsten von kleinbäuerlichen, indigenden und afrodeszenten Gemeinden sind unerlässlich. Dabei müssen auch geschlechterbasierte Ungleichheiten berücksichtigt werden. Dies sollte im Zentrum der Lateinamerika-Politik der Bundesregierung stehen – und nicht das unselige MERCOSUR-Abkommen, welches die Macht der Agroindustrie weiter zementiert”, fordert Henn. Mehrere internationale Menschenrechtsinstrumente verweisen auf den engen Zusammenhang des Landzugangs mit substanziellen Menschenrechte. So betrifft der Zugang zu Land unter anderem das Recht auf Nahrung, auf angemessenen Wohnraum, auf Nichtdiskriminierung, kulturelle Identität und Teilhabe an öffentlichen Angelegenheiten.

Beispiele aus der FIAN-Arbeit

In Ecuador, kämpft die Bäuer*innengemeinde ASOMAC seit 2015 um ihr Recht auf Land. Damals wurden 44 Familien ohne vorherige Ankündigung von ihrem Landgut „La Leopoldina“ vertrieben. Grund hierfür war die ungerechte Landverteilung im Rahmen der strukturell fehlgeleiteten Agrarreform „Plan Tierras“. Im Jahr 2016 gab das Verwaltungsgericht in Guayaquil einer Klage der Vetriebenen statt und erkannte das Recht auf Land von ASOMAC an. Nichtsdestotrotz verzögert der Staat die Anerkennung der Landbesitzrechte bis heute. Die ökonomischen, sozialen und psychischen Folgen der Vertreibung für die Familien von ASOMAC sind gravierend. Viele Gemeindemitglieder verloren ihren gesamten Besitz und wurden in die Verschuldung getrieben. Der Verlust von Anbauflächen und dem Zugang zu Wasser verletzt zudem das Menschenrecht auf Nahrung Gemeindemitglieder.
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In Paraguay gehören 94% des Ackerlandes großen Betrieben und der Agrarindustrie, lediglich 6% sind im Besitz von indigenen und kleinbäuerlichen Familien. Zwar gilt die Umverteilung von Land offiziell als Kernziel der Agrarreform, dies wird jedoch kaum umgesetzt. Großgrundbesitzer*innen, die ihr Land auf unrechtmäßige Weise erworben haben, werden systematisch geschützt. Die Rede ist von den knapp acht Millionen Hektar „tierras malhabidas“ – Ländereien, die während der Stroessner-Diktatur (1954-1989) an die rechtmäßigen Begünstigten der Agrarreform hätten übergeben werden sollen, aber stattdessen illegal an Verbündete des Regimes gingen. Anstatt jedoch Großgrundbesitz zu enteignen, werden kleinbäuerliche und indigene Gemeinden ohne offizielle Landtitel oft brutal vertrieben. Der Staat entzieht den Betroffenen hierdurch ihre Lebensgrundlage, ohne ihnen einen alternativen Zugang zu Land zu bieten. Nicht selten kommt es bei den Vertreibungen zur Zerstörungen von Häusern und Vorräten sowie zum Diebstahl von Eigentum und Nutztieren.
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Im zentralamerikanischen Land Honduras ist die Landfrage eng mit der Verwirklichung der Menschenrechte im Kontext der sich zuspitzenden Klimakrise verknüpft. Die Zunahme von Extremwettereignissen wie Dürren, Fluten und Wirbelstürme führt bereits jetzt zu Vertreibungen tausender Menschen. Der mangelnde Zugang zu Land und anderer produktiver Ressourcen verhindert, dass die betroffenen Gemeinden sich vor den Folgen schützen und sich an den Klimawandel anpassen können. Bergbau und landwirtschaftliche Monokulturen verschärfen die Konflikte um Wasser und Land zusätzlich. Insbesondere die Expansion industrieller Garnelenfarmen übt massiv Druck auf lokale Gemeinschaften aus. Durch die Abholzung von Mangrovenwald und die Privatisierung von Stränden und Flussmündungen werden sie zunehmend von traditionellen Nahrungs- und Einkommenquellen abgeschnitten.

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