Irritator challengeri gehört zu den zweibeinigen, fleischfressenden Dinosauriern, genauer: zu den Spinosauriern. Irritator besitzt den am vollständigsten erhaltenen fossilen Schädel eines Spinosauriers weltweit. Mithilfe von Röntgen-Computertomographen aus der Medizin und der Materialforschung haben Wissenschaftler aus Greifswald, München, Alkmaar (Niederlande) und Fribourg (Schweiz) nun eingehende Untersuchungen an diesem Fossil durchgeführt und dabei erstaunliche Entdeckungen gemacht. Mit nach unten geneigten, schnell schließbaren Kiefern machte Irritator im heutigen Brasilien vermutlich Jagd auf relativ kleine Beutetiere. Eine kleine Sensation für die Fachleute: wenn das Tier seine Schnauze öffnete, spreizten sich die Unterkieferäste seitlich auseinander und erweiterten so den Rachenraum. Die Studie ist bei Palaeontologia Electronica erschienen.
Marco Schade arbeitet seit einigen Jahren mit Dinosaurier-Fossilien. Die Tiere, die er untersucht, sind bereits seit vielen Millionen Jahren ausgestorben und ihre Überreste oft nicht vollständig erhalten. Ihre Fossilien lagern – wie in diesem Fall im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart – häufig in öffentlichen Sammlungen und geben Einblicke in längst vergangene Zeiten. Die Spinosaurier gehören zu den größten landlebenden Raubtieren der Erdgeschichte. Im Vergleich zu anderen großen Raubdinosauriern waren viele Fragen zu ihrer auffallenden Anatomie bisher ungeklärt; die recht spärlichen Fossilfunde gaben meist wenig Hinweise auf ihren Lebensstil und ihre Entwicklungsgeschichte. Spinosaurier verfügen über vergleichsweise lange, schlanke Schnauzen mit zahlreichen konischen Zähnen, über kräftige Arme mit beeindruckenden Krallen und teils sehr lange Fortsätze auf der Wirbelsäule.
Der vollständigste Spinosaurier-Schädel stammt mit Irritator aus etwa 115 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten im Osten Brasiliens. Während die Art mit geschätzten 6,5 Metern Körperlänge bisher als größtes Tier aus seinem Ökosystem gilt, sind u. a. weitere Dinosaurier, Flugsaurier, Krokodilverwandte, Schildkröten und zahlreiche Fischarten von dort bekannt. Für ihre Studie rekonstruierten die Paläontologen jeden einzelnen Schädelknochen im Fossil und setzten sie wieder an ihre ursprüngliche Position, um herauszufinden, was Spinosaurier so besonders macht. Mithilfe der CT-Daten fanden die Forscher heraus, dass Irritator in Aufmerksamkeit fordernden Situationen vermutlich seine Schnauze um etwa 45° nach unten geneigt hielt und so nach vorn einen Bereich dreidimensionalen Sehens realisierte. Nur wenn die Schnauze stark geneigt gehalten wurde, gab es keine störenden Strukturen am Kopf des Tieres, die ein freies Sichtfeld behindert hätten. Darüber hinaus war der Schädel von Irritator so gestaltet, dass die Art – im Vergleich zu anderen großen Raubdinosauriern – nur eine schwache Beißkraft ausüben, dafür aber seine Kiefer extrem schnell schließen konnte. Bei diesem Vorgang spreizten sich aufgrund der Form des Unterkiefergelenkes außerdem die Unterkieferäste nach außen und weiteten so den Schlund des Tieres – im Ergebnis ähnlich wie bei heutigen Pelikanen, allerdings durch einen anderen Mechanismus ausgelöst. Dies sind Hinweise darauf, dass Irritator relativ kleinen Beutetieren, darunter auch Fischen, nachstellte, sie mit schnellen Kieferbewegungen ergriff, schwer verletzte und zügig hinunterwürgte.
Gesicherte Spinosaurier-Fossilien stammen ausschließlich aus der frühen und späten Kreidezeit und umfassen einen Zeitraum von ungefähr 35 Millionen Jahren. Ebenso lang ist ihre Entwicklungsgeschichte von der anderer Raubdinosaurier getrennt, ohne dass wir entsprechende Fossilien aus dieser Zeit kennen. Die neue Studie vermittelt ein besseres Verständnis über die Lebensweise der Spinosaurier und zeigt, dass sie im Verhältnis zu anderen Raubdinosaurier-Linien im Laufe ihrer Evolution schnell mehr anatomische Eigenschaften neu erwarben, was sie schließlich zu den spezialisierten und andersartigen Dinosauriern werden ließ, die wir heute kennen.
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