Die Würzburger Politikwissenschafterin Theresa Paola Stawski hat untersucht, wie gut die Staaten dieser Welt funktionieren. Deutschland schafft es dabei knapp unter die Top Ten. Der Staat, das sind nicht nur Bund, Länder und Kommunen. „Den Staat können wir in allem sehen, was uns umgibt, zum Beispiel in den Straßen, den Gerichten, in der Polizei oder in den Schulen“, sagt Theresa Paola Stawski. Doch wie gut funktionieren die Staaten dieser Welt? Das hat die promovierte Politologin in den vergangenen Monaten untersucht. In ihrem im Internet abrufbaren Ranking steht Deutschland 2022 an zehnter Stelle von 173 Staaten. Platz eins nimmt Singapur ein. Stawski ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für vergleichende Politikwissenschaft und Systemlehre der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).
Dass ein Patient, der eine Röntgenuntersuchung benötigt, zeitnah einen Arzttermin erhält, dass es flächendeckend Schulen gibt und dass Tag und Nacht Strom fließt, all das macht einen gut funktionierenden Staat aus. Nicht wenige Menschen auf dieser Welt können davon nur träumen. Besonders schlecht geht es Bürgerinnen und Bürgern im Südsudan, im Jemen und in Libyen. „Hierbei handelt es sich um kollabierte Staaten“, erklärt Theresa Paola Stawski. Faktisch existiert dort keine produktive staatliche Arbeit mehr. Wobei sich der Jemen zumindest minimal verbessert hat. Dies ist im Report 2022 zum „Stateness-Index“ (StIx) nachzulesen.
Ein funktionierender Staat muss nicht demokratisch sein
Ein Zypriot lebt dem Staatlichkeitsindex zufolge ebenso wie eine Marokkanerin oder ein Inder aktuell in einem „defekten“ Staat. Bürgerinnen und Bürger aus Luxemburg, Norwegen, Belgien, Uruguay, Costa Rica, Chile, Jamaika, oder Trinidad und Tobago hingegen haben, ebenso wie Deutsche, das Glück in einem hochfunktionalen Staat zu leben. „Ob ein Staat gut funktioniert oder nicht, hat nicht immer etwas mit Demokratie zu tun“, sagt Theresa Paola Stawski. Singapur beispielsweise ist keine Demokratie. Dennoch ergab die Analyse der Politologin, dass dieses Land in Sachen Staatlichkeit an der Spitze steht. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate befinden sich im Feld der hochfunktionalen Staaten. Die Bewohner von Venezuela und Haiti hingegen leben in einem „Tiefgreifend mangelhaften Staat“.
In einem Land, in dem zum Beispiel keine Meinungsfreiheit herrscht, können die Menschen dennoch mit allem Lebenswichtigen bestens versorgt sein. Staatsforschung, betont Theresa Paola Stawski, ist keine Demokratieforschung: „Staatsforschung ist noch viel grundlegender.“ Dennoch bildet sie innerhalb der Politikwissenschaft nach wie vor ein Nischenthema. Theresa Paola Stawski hat sich auf Staatsforschung kapriziert. Das DFG-Forschungsprojekt „Der Staatlichkeits-Index StIx“ unter Leitung von Professor Hans-Joachim Lauth, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft, in das sie sich intensiv einbrachte, baut auf ihrer Dissertation auf. Darin beschäftigte sie sich mit der Frage, wie sich Staaten verändern, wenn Demokratien zu Autokratien werden. Und umgekehrt.
Studie über mehr als 70 Jahre hinweg
Obwohl es sich nicht um eine Langzeitstudie handelt, sondern um eine quantitative Messung, wird ein weiter Zeitraum abgedeckt: Über die Homepage lässt sich die Entwicklung der verschiedenen Staaten seit 1950 nachvollziehen. Die Homepage selbst ist englischsprachig. Dennoch können interessierte Bürgerinnen und Bürger sie relativ leicht bedienen. So kommt man über den Menüpunkt „Online Analyses“ auf eine Seite mit „Settings“. Klickt man darauf, lassen sich mühelos alle Jahre zwischen 1950 und 2022 auswählen. Klassischerweise wird bei der Analyse von Staaten auf das staatliche Rechts-, Gewalt- und Verwaltungsmonopol abgehoben, doch das ist längst nicht alles, was einen Staat ausmacht. „Wir haben nicht nur den formalen Staat gemessen, sondern wir haben uns auch die informelle Seite angeschaut“, erläutert Theresa Paola Stawski, die bei ihrer Forschung eng mit Lukas Lemm vom Institut für Politikwissenschaft kooperierte. Diese informelle Seite betrifft zum Beispiel das Thema „Korruption“. Die Messanlage und die insgesamt sehr innovative Herangehensweise an die Messung von Staatlichkeit zeichnet das im Oktober 2021 gestartete Projekt aus.
Regierungswechsel wirken sich kaum aus
In manchen Ländern muss man damit rechnen, dass die Ordnungsmacht bestochen ist. Es mag vielleicht genug Polizisten geben. Doch wenn Polizisten parteilich handeln, ist das für die Bürgerinnen und Bürger schlecht. Gut gemachte Reformen können die Staatlichkeit laut Theresa Paola Stawski verbessern. Reine Regierungswechsel hingegen wirken sich oft kaum aus. Dies wird ersichtlich, geht man über „Online Analyses“ auf „Country“: Es erscheint eine Grafik, die Deutschlands Staatlichkeit seit 1950 darstellt. Einen Sprung nach oben gab es nach der Wiedervereinigung. Seit 1990 hingegen sind die Messkurven relativ stabil. Unabhängig davon, wer gerade regierte. Aktuell wird viel und laut über den deutschen Staat geklagt, doch das darf die Bürgerinnen und Bürger laut Theresa Paola Stawski nicht irremachen. Nach ihren Analysen bleibt Deutschland einer der weltweit besten Staaten. „Woanders gibt es Hungersnöte, Epidemien und schwere Krankheiten, aber fast keine ärztliche Versorgung“, sagt sie. Sehr vieles, was für die deutsche Bevölkerung selbstverständlich ist, sei in etlichen Staaten dieser Welt überhaupt nicht oder nicht mehr vorhanden. Was nicht bedeutet, so die Wissenschaftlerin, dass sich Bürger hierzulande zurücklehnen sollten. Durch demokratische Partizipation seien weitere Verbesserungen möglich.
Deutschland liegt vor den USA
Joe Biden, der Präsident der USA, steht dem Index zufolge übrigens an der Spitze eines Staates, der zwar sehr gut funktioniert, allerdings längst nicht so gut wie Deutschland. Die Vereinigten Staaten belegen lediglich Platz 23 innerhalb des Rankings. Vor den USA befinden sich beispielsweise Malta, Spanien, Frankreich und Japan. Direkt hinter den Vereinigten Staaten liegen Tschechien, Österreich, Kanada und Barbados. Noch besser als Deutschland funktionieren Australien, Dänemark und die Niederlande. Aber auch vom baltischen Staat Estland könnte Deutschland noch lernen.
Naja, das Fehlen ein Paar Parameter