Tropenwälder sind für die Menschheit elementar. Sie bestimmen das globale Klima- und Wettergeschehen entscheidend mit und sind maßgeblich für die Biodiversität. Dies gilt insbesondere für den brasilianischen Regenwald im Einzugsgebiet des Amazonas. Um wichtige Fragen zum globalen Klimawandel zu erforschen, bricht ein internationales, interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Müller, Institut für Pflanzenökologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), am 26. August 2023 zu einer vierwöchigen Expedition in den brasilianischen Regenwald auf. Von der im Nordwesten Brasiliens gelegenen Stadt Manaus aus wird das achtköpfige Forschungsteam verschiedene Untersuchungsflächen entlang des Amazonas aufsuchen und dabei eine Strecke von über 700 Kilometern auf dem Amazonas zurücklegen. Die seit Jahren vorbereitete Forschungsreise hat zwei Ziele: Zum einen wird der sogenannte Terra preta-Boden erforscht, der über besondere Eigenschaften der Kohlenstoffspeicherung verfügt und zudem sehr fruchtbar ist. Zum anderen sollen wissenschaftlich-forensische Verfahren zur Bekämpfung des illegalen Holzeinschlages entwickelt werden – Letzteres auf Wunsch der brasilianischen Regierung unter Präsident Lula, die den Regenwald erhalten und stärker schützen möchte.
Die Forschungen werden in enger Kooperation mit der brasilianischen Regierung und dem EMBRAPA-Agrarforschungs-Institut in Manaus durchgeführt, mit dem die JLU seit vielen Jahren eine enge Kooperation pflegt. Zudem ist die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien beteiligt, die zusammen mit der Food and Agriculture Organisation (FAO) ein Zentrum für Fragen der globalen Ernährungssicherheit und der nachhaltigen Landwirtschaft in Wien unterhält.
Forschungsschwerpunkt Terra preta de Indio („Schwarze Erde“)
Der Boden des Regenwaldes ist im Allgemeinen karg und nährstoffarm; er weist – im Gegensatz zu Böden in gemäßigten Breiten wie Mitteleuropa – keine nennenswerte Humusbildung auf. An manchen Stellen befinden sich im Amazonas-Regenwald jedoch besondere Böden, die Terra preta genannt werden, „Schwarze Erde“. Diese Böden sind auch ohne Düngung langfristig fruchtbar und können im Vergleich zum üblichen Boden im Regenwald ein Mehrfaches an Kohlenstoff binden. Die Terra preta ist daher in zweifacher Hinsicht von globalem wissenschaftlichen Interesse: als Kohlenstoffspeicher vor dem Hintergrund des Klimawandels und zur Entwicklung von ressourcenschonenden und klimaresilienten Bewirtschaftungsmethoden. Das sind vor allem solche Anbauformen, bei denen Pflanzen genutzt werden, die sich primär der Nährstoffe des Bodens bedienen und dem Trockenstress widerstehen. Während der Expedition sollen Untersuchungen zu den Treibhausgasflüssen (Kohlendioxid, Methan und Lachgas) durchgeführt und Bodenproben zur Analyse der Bodenstruktur sowie zur Kohlenstoffspeicherung und zur mikrobiellen Aktivität genommen werden. „Unsere bisherigen Studien zu Treibhausgasemissionen des brasilianischen Terra preta-Bodens zeigen, dass Untersuchungen unter Laborbedingungen keine validen Ergebnisse erbringen“, so Expeditionsleiter Prof. Dr. Christoph Müller. „Daher ist es notwendig, diese spezifischen Untersuchungen vor Ort zu machen.“
Die Terra preta-Böden sind menschengemacht. Sie entstanden durch Holzkohle und Nahrungsmittelabfälle, Dung und Kompost. Menschen, die vor mehreren Tausend Jahren am Amazonas lebten und dort Felder bewirtschafteten, haben diese Materialien über lange Zeit in den Boden eingebracht. Von ihren recht großen Siedlungen zeugen unter anderem Tonscherben in der Terra preta. Obwohl der Terra preta-Boden einzigartig ist, gibt es auch in Europa Jahrtausende alte Erfahrungen mit Kohle und Holzkohle, die für die Beurteilung der aktuellen Forschung bedeutsam sind. So wurden bereits vor mehr als 2000 Jahren durch die damals in Mitteleuropa ansässigen Kelten Kohlenmeiler betrieben. Besonders im Siegerland existieren solche ehemaligen Meilerböden, die mit den Terra preta-Böden in etwa vergleichbar sind, obwohl diese im Gegensatz zu den Flächen am Amazonas nicht landwirtschaftlich genutzt wurden.
An der JLU versucht das Team von Prof. Müller, eine Art Terra preta zu erzeugen. Seit 2011 führen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf einer Versuchsfläche der Umweltbeobachtungs- und Klimafolgenforschungsstation in Linden-Leihgestern ein Biokohle-Experiment durch, bei dem Pflanzenkohle aus Chinaschilf mit Schweinegülle ausgebracht wurde. „Erste Ergebnisse zeigen, dass der entsprechend behandelte Boden mehr Kohlenstoff speichert“, so Prof. Müller. „Weitere Forschung ist notwendig, um Fragen der langfristigen Speicherkapazität zu klären. Die sogenannte Biokohle-Applikation ist dennoch die derzeit effektivste Methode, um Kohlenstoff in Form von Kohlendioxid der Atmosphäre zu entziehen und in einer dauerhaften Form im Boden zu speichern. Damit ist sie ein wichtiger Mosaikstein im Kampf gegen den Klimawandel.“
Forschungsschwerpunkt illegaler Holzeinschlag
Der zweite Forschungsschwerpunkt der Amazonas-Expedition befasst sich mit der Frage, wie der illegale Holzeinschlag mit wissenschaftlicher Unterstützung effektiver bekämpft werden kann. Der oftmals illegale und organisierte Holzeinschlag ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass große Flächen des Regenwaldes gerodet werden. Damit steigt das Risiko, den Kipppunkt beim Verlust des Amazonas-Regenwalds zu erreichen – mit fatalen Folgen für das globale Klima. Bislang fehlt es insbesondere an Erkenntnissen, wie illegales Tropenholz zum Beispiel in Holzlagern in Deutschland identifiziert werden kann. Dazu ist es erforderlich, belastbar und rechtssicher zu beweisen, dass dieses Holz an einem bestimmten Ort illegal geschlagen wurde.
Mit an der JLU entwickelten Isotopenanalysen soll erforscht werden, ob die für Böden nutzbaren Analyseverfahren auch auf Bäume (Holz) übertragen werden können. Im Rahmen der Expedition werden dazu an den aufgesuchten Terra preta-Standorten Stammholzproben genommen und der Holzbohrkern dokumentiert. Das langfristige Ziel ist es, mit Hilfe der Isotopenanalyse ein Baumkataster zu erstellen, das den zuständigen internationalen Ermittlungsbehörden eine Zuordnung von zu überprüfendem Holz zum jeweiligen Einschlagort ermöglicht. „Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass wir die wissenschaftlichen und die forensischen Aspekte für eine erfolgreiche Bekämpfung des illegalen Holzeinschlages in einem ganzzeitlichen Ansatz zusammenführen und damit auf eine neue Ebene bringen“, betont Müller. Auf ausdrücklichen Wunsch Brasiliens sollen dazu im Nachgang Folgeforschungen in Gießen durchgeführt werden, unter anderem durch eine brasilianische Doktorandin aus Manaus.
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