Schon seit Tausenden von Jahren wird in Korallenriffen gefischt. Als reich strukturiertes und besonders artenreiches Ökosystem bieten Riffe etlichen Fischarten einen Lebensraum – darunter vielen Speisefischen. Meist wird traditionsreiche handwerkliche Fischerei von den Bewohnern der Riffatolle oder riffumsäumter Küsten ausgeübt. Der Fang wird größtenteils informell gehandelt, getauscht oder selbst konsumiert. Dieses Szenario beschwört Bilder einer Lebensweise im Einklang mit der Natur herauf. Doch wie nachhaltig ist die weltweite Korallenriff-Fischerei wirklich und wie steht es um die Fischbestände in den Korallenriffen? Aufgrund des handwerklichen und eher informellen Charakters der Fischerei ist die Datenlage dazu sehr dünn. Es fehlen vor allem Zeitreihen, mit denen der Zustand einer Fischerei in der Regel bewertet wird.
Ein internationales Team unter Leitung von Jessica Zamborain-Mason von der Harvard University, dem auch der Riffökologe Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) angehörte, ermittelte in einem neuen Ansatz auf Basis eines umfangreichen Datensatzes von Fischbeobachtungen, wie es um die Bestände und Vielfalt der Fischarten in den Riffen der Weltmeere bestellt ist. Geschätzt sind weltweit rund sechs Millionen Menschen in der Rifffischerei tätig. Der Anteil des Fangs aus Riffen an der gesamten Meeresfischerei ist in vielen Regionen beträchtlich, am höchsten ist er im Nahen und Mittleren Osten mit 43% und in der Karibik mit 40%. Riffe bieten einen großen Reichtum an Fangfischarten: Schnapper, Zackenbarsche, Kaninchenfische, Papageifische, Lippfische und Doktorfische sind nur einige von ihnen.
Die Wissenschaftler nutzten für ihre Studie einen Datensatz zu Fischbeobachtungen, Umweltbedingungen und Management von über 2.000 Riffen weltweit. Dafür wurden unter Wasser entlang festgelegter Bereiche, sogenannter Transekte, Fische gezählt und Arten bestimmt. Daten zum lokalen Fischfang wurden anhand von nationalen Statistiken rekonstruiert. Mit Modellen aus der Fischereibiologie ermittelten die Forschenden sogenannte „Nachhaltigkeitsreferenzwerte“ für die jeweiligen Standorte: wie hoch wäre der maximale Ertrag, wenn nachhaltig gefischt würde, und wie groß müsste die Biomasse der Fischbestände im Riff sein, um diesen Ertrag zu erzielen. Besonders isolierte und geschützte Standorte, die nicht befischt wurden, dienten dazu, die Produktivität der Fischgemeinschaft unter Berücksichtigung von Umweltbedingungen wie Wassertemperatur oder Bedeckung mit Korallen zu ermitteln. Im Vergleich mit diesen Daten konnten die Autoren der Studie dann feststellen, ob und wie stark bei befischten Standorten der Bestand bereits überfischt war.
„Diese großangelegte Studie ermöglicht zum ersten Mal einen Einblick in den weltweiten Zustand der Fischerei in Riffen, was bisher aufgrund mangelnder Daten in diesem Umfang nicht möglich war“, sagt Sebastian Ferse, einer der Autoren der Publikation. „An fast zwei Dritteln der Standorte wird mehr gefischt als die Bestände an Biomasse nachproduzieren können – sie werden also überfischt.“ Die Fischbestände in nahezu jedem zehnten befischten Riff waren bereits zusammengebrochen. Sie wiesen weniger als zehn Prozent der Biomasse auf, die das Riff laut dem Modell hätte, wenn dort kein Fisch gefangen würde. Die Untersuchung zeigt zudem die Bedeutung einzelner Umweltfaktoren auf. Bei Standorten mit höherer Wassertemperatur und geringerer Korallenbedeckung war der maximale nachhaltig zu erzielende Fischereiertrag deutlich geringer. „Allerdings sind das die Umweltbedingungen, auf die Riffe weltweit schon jetzt durch den Klimawandel zusteuern“, so Ferse.
Die Forschenden erhoben noch weitere Daten, beispielsweise zur Artenvielfalt, dem Vorkommen großer Raubfische oder der Aktivität von Papageienfischen, die den Algenbewuchs im Riff abraspeln und so freie Flächen für die Ansiedlung von Korallenlarven schaffen. So konnte das Team abschätzen, wie sich bestimmte Maßnahmen des Fischereimanagements auf weitere Ökosystemprozesse auswirken. Heute befinden sich knapp zwei Drittel aller Riffe weltweit weniger als dreißig Minuten von menschlichen Besiedlungen entfernt und nur ein Bruchteil liegt in erfolgreich betriebenen Schutzgebieten. Vor allem in Südostasien leben besonders viele in der Rifffischerei tätige Menschen. Dementsprechend ist dort der Anteil von nicht nachhaltig befischten Riffen besonders hoch. Auch in Riffen im Persischen Golf und Teilen der Karibik finden sich viele überfischte Fischbestände.
Doch Ferse macht auch Hoffnung: „Es ist nicht nötig, Fischerei aus dem Riff zu verbannen, um das Ökosystem zu retten. Die Modelle zeigen, dass ein verbessertes Fischereimanagement und die Reduktion der Fischerei auf 80% des maximal möglichen Ertrages schon zu einer deutlichen Entspannung der Bestände und mehr Artenvielfalt führen.“ Umweltschutzpläne und gesellschaftliche Ziele müssten sorgfältig abgewogen und letztlich die unter lokalen Umständen bestmöglichen Kompromisse gesucht werden. „Das in der Studie entwickelte Modell lässt sich im Prinzip auf jedes beliebige Riff anwenden, wenn man die lokalen Bedingungen berücksichtigt“, so Ferse weiter. „Somit ermöglicht es, passgenaue Managementansätze zu entwickeln, die sowohl Fischerei- als auch ökologische Ziele berücksichtigen.“
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