Auf Rapa Nui – der Osterinsel im Südpazifik – ist möglicherweise eine eigene Schrift entstanden. Das könnte eine der wenigen unabhängigen Erfindungen der Schrift in der Menschheitsgeschichte darstellen. Die Entdeckung zweier Forschungsteams der Universität Bologna mit Unterstützung der Universität Hohenheim in Stuttgart basiert auf einer Altersbestimmung der Holztafeln durch Radiokarbondatierung. Eine von vier Holztafeln, auf der Zeichen der sogenannten Rongorongo-Schrift eingraviert sind, entstand demnach wahrscheinlich vor der Ankunft der ersten europäischen Schiffe in den 1720er Jahren.
Eine Schrift wurde in der Geschichte der Menschheit nur sehr selten erfunden. Nun zeigt eine neue Studie, dass dies womöglich sogar an einem unerwarteten Ort geschah: Auf der Osterinsel im Pazifik. Das Schriftsystem, genannt Rongorongo, wurde bisher noch nicht entziffert und unterscheidet sich von allen bekannten Schriften. Internationale Forschende unter Leitung von Prof. Dr. Silvia Ferrara und Prof. Dr. Sahra Talamo von der Universität Bologna haben in Zusammenarbeit mit Dr. Michael Friedrich von der Universität Hohenheim herausgefunden, dass die Schrift möglicherweise vor der Ankunft der ersten europäischen Schiffe auf der Insel in den 1720er Jahren entstanden ist. Das wäre ein Hinweis auf eine unabhängige Erfindung der Schrift.
Altersbestimmung und Holzart geben Hinweis auf frühen Entstehungszeitpunkt
Die Tafeln mit den Inschriften bestehen aus Holz. An vier Tafeln, die in einem Museum in Rom aufbewahrt werden, haben die Forscherinnen in Bologna Holzproben entnommen und erstmals eine präzise Radiokohlenstoffdatierung vorgenommen. Sie zogen auch den Botaniker Dr. Michael Friedrich von der Universität Hohenheim hinzu, um die Baumarten zu analysieren und das individuelle Alter der Hölzer zu bestimmen. Eine der Tafeln, die sogenannte Échancrée-Tafel, überraschte die Forschenden: Sie ist deutlich älter als die Ankunft der Europäer. Die übrigen drei sind im 19. Jahrhundert angesiedelt, als die Europäer die Insel schon erreicht hatten. „Die Échancrée-Tafel“, erklärt Dr. Friedrich, „besteht außerdem aus der Holzart aus der Familie der Steineiben, die auf der Osterinsel nicht heimisch ist. Es könnte sich daher um Treibholz gehandelt haben, das auf der weitgehend entwaldeten Insel intensiv genutzt wurde.“
Die Datierung der älteren Tafel gebe daher zwar nicht zwangsläufig Aufschluss über den Zeitpunkt, an dem die Inschrift eingeschnitzt wurde, räumen die italienischen Forschenden ein. Doch in Anbetracht des Erhaltungszustands der Tafel sei nicht davon auszugehen, dass dies wesentlich nach dem Datum geschah, als das Holz für die Tafel vorbereitet wurde. Trotz des noch etwas unklaren Zeitpunktes, wann die Glyphen in die Hölzer eingeschnitzt wurden, geben die Ergebnisse der neuen Studie einen weiteren Hinweis auf die enorme Bedeutung der verwendeten Glyphen: Sie unterscheiden sich von allen bekannten Schriften und weisen auch im Hinblick auf das Inventar keine Parallelen auf. „Rongorongo könnte eine der wenigen unabhängigen Erfindungen der Schrift in der Geschichte der Menschheit darstellen, was die kulturellen Entwicklungen der Bewohner der Osterinsel um eine weitere Ebene bereichert“, folgern die Autoren abschließend.
Die Osterinsel ist eine abgelegene vulkanische Insel in Polynesien, die zu Chile gehört. In der Sprache der Einheimischen lautet der Name der Insel Rapa Nui. Berühmt sind die archäologischen Stätten, in erster Linie die fast 900 Moai. Die monumentalen Statuen wurden zwischen dem 13. und 16. Jh. angefertigt und stellen menschliche Figuren mit überdimensionalen Köpfen dar.
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