Das Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, die Universitätsbibliothek und das Museum für Erinnerung und Menschenrechte in Chile (MMDH) wollen mit einer Ausstellung und einer Medienstation an die Verbrechen in der ehemaligen Colonia Dignidad in Chile erinnern. In der Enklave wurden zwischen den 1960er und 1990er Jahren unter anderem Sektenangehörige ausgebeutet, Kinder sexuell missbraucht und Oppositionelle gegen die Diktatur Augusto Pinochets in Chile gefoltert. Das neue Projekt der drei Partnerinstitutionen basiert auf der Interviewsammlung „Colonia Dignidad. Ein chilenisch-deutsches Oral History-Archiv“ (CDOH) mit Video-Interviews von Zeitzeugen. Die Interviews sollen in eine interaktive Medienstation und eine Ausstellung einfließen, die in die neue Dauerausstellung des zentralen Museums für Erinnerung und Menschenrechte in Santiago de Chile und später auch in eine geplante Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad integriert werden.
Das Projekt „Interaktive Erinnerungen an die Colonia Dignidad“ begann im Oktober diesen Jahres und läuft bis September 2027. Geleitet wird es von Prof. Dr. Stefan Rinke, Experte für lateinamerikanische Geschichte an der Freien Universität Berlin. Das Team der Digitalen Interviewsammlungen an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin betreut das Videoarchiv aus Zeitzeugen-Interviews und berät das Vorhaben. Vor dem Hintergrund, dass Chile und Deutschland 2017 ein gemeinsames Memorandum zur historischen Aufarbeitung der Colonia Dignidad unterzeichnet und eine Gemischte Kommission gegründet haben, fördert das Auswärtige Amt das Vorhaben.
„Das neue Projekt ‚Interaktive Erinnerungen an die Colonia Dignidad´ baut auf dem Projekt ‚Colonia Dignidad. Ein chilenisch-deutsches Oral History-Archiv‘ auf, das seit 2019 eine Vielzahl an Interviews über dieses schmerzliche Kapitel geteilter Geschichte Deutschlands und Chiles in einem öffentlich zugänglichen Interview-Archiv bereitstellt. Nun werden die Erinnerungen der Zeitzeugen einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Museo de la Memoria y de DDHH in Santiago de Chile ist der geeignete Ort, um dieses wichtige Thema stärker in das Bewusstsein zu rücken und so zur Aufarbeitung der Verbrechen der so genannten Colonia Dignidad beizutragen. Der Schutz der Menschenrechte wird heute mancherorts wieder in Frage gestellt. Die Verbrechen der Colonia Dignidad zeigen, wohin eine solche Haltung führen kann“, mahnt Prof Dr. Stefan Rinke.
„Es ist sehr wichtig für das Museum, Teil der symbolischen Wiedergutmachung für diesen so komplexen Ort zu sein, der verschiedene Dimensionen und Zeiten betrifft und der vor, während und nach der Pinochet-Diktatur Opfer hinterlassen hat. Uns mit dieser noch immer klaffenden Wunde auseinanderzusetzen, ist essenziell“, ergänzt María Fernanda García, die Direktorin des Museums für Erinnerung und Menschenrechte in Santiago de Chile.
Seit Anfang 2024 hat das Museum auch das Archiv der Karteikarten des in der Colonia Dignidad geführten Geheimarchivs „Fichas de Colonia Dignidad” in seine Sammlungen aufgenommen und das chilenisch-deutsche Oral History-Archiv CDOH eingebunden. Zur Bedeutung von Archiven und historischen Quellen für die Erforschung der Verbrechen der Colonia Dignidad betont María Luisa Ortiz, Leiterin der Sammlungen des Museums, dass „für die Aufarbeitung der schmerzhaften Vergangenheit und ihrer bis in die Gegenwart reichenden Folgen ein demokratischer und offener Zugang zu den Quellen notwendig ist, der es uns ermöglicht, diese Geschehnisse zu begreifen und kritisch zu reflektieren. Dieses Projekt ist sehr wichtig für die chilenische Gesellschaft, um die notwendige Diskussion über die Colonia Dignidad aufzunehmen“.
„Dieses Projekt und das Oral-History-Archiv zielen darauf ab, die Vergangenheit, die immer noch sehr lebendig ist, zu begreifen und sichtbar zu machen. Die Verantwortung für dieses Thema verbindet Chile und Deutschland. Mit der Medienstation und der Ausstellung wollen wir die akademischen und zivilgesellschaftlichen Verbindungen zwischen den beiden Ländern vertiefen. Wir hoffen, damit zu einem respektvollen und verantwortungsbewussten Umgang mit dem Thema und seiner historischen und kulturellen Aufarbeitung beizutragen; denn noch immer sind viele Fragen ungeklärt“, sagt die Psychologin und Historikerin Evelyn Hevia Jordán, die das Projekt „Interaktive Erinnerungen an die Colonia Dignidad“ von der Freien Universität Berlin aus koordiniert.
„Viele der Zeitzeugen haben betont, wie wichtig es ihren ist, dass ihre Erinnerungen genutzt werden, damit sich Verbrechen wie die der Colonia Dignidad nicht wiederholen können. Die interaktive Medieninstallation soll einen Beitrag dazu leisten“, umreißt Dorothee Wein vom Team der Digitalen Interviewsammlungen an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin das wesentliche Ziel des Projekts.
Leider kein Kommentar vorhanden!