Italien und Brasilien haben diese Woche ein Kooperationsabkommen im Kampf gegen transnationale kriminelle Organisationen geschlossen. Unterzeichnet wurde es vom nationalen Anti-Mafia-Staatsanwalt Italiens, Giovanni Melillo, und der Staatsanwaltschaft von São Paulo, die auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität spezialisiert ist – insbesondere gegen die größte kriminelle Vereinigung des Landes, das Primer Comando da Capital (PCC). „Es ist ein Abkommen, das für beide Länder gleichermaßen wichtig ist, da wir gemeinsame Probleme und Herausforderungen an dieser Front zu bewältigen haben”, erklärte Melillo. „Wir arbeiten bereits hervorragend mit der Bundesstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft des Bundesstaates São Paulo zusammen und sind hier, um diese Beziehungen zu stärken”, fügte der nationale Antimafia-Staatsanwalt hinzu. „Die PCC ist ein wichtiger Bestandteil der Bedrohung durch die transnationale Dimension der organisierten Kriminalität, während die ‚Ndrangheta eine der kriminellen Organisationen ist, die am stärksten daran interessiert ist, ihr Netzwerk international auszubauen“, fügte er hinzu.
Italienische Ermittlungsquellen haben erklärt, dass dieses Abkommen zu den bereits auf europäischer Ebene bestehenden Abkommen hinzukommt und einen zusätzlichen und schnelleren Kanal für den Informationsaustausch zwischen den beiden Ländern darstellt. Melillo nahm am Mittwoch in São Paulo auch an dem internationalen Seminar „Organisierte Kriminalität und illegale Märkte in Lateinamerika“ teil, das an der Universität von São Paulo (USP) organisiert wurde. Ebenfalls anwesend war Lincoln Gakiya, der symbolträchtige Richter im Kampf gegen die PCC und Staatsanwalt der Gaeco (Sondereinheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität) der Staatsanwaltschaft von São Paulo. Gakiya arbeitet seit über 20 Jahren in der Ermittlung gegen kriminelle Banden und wurde mehrfach von der PCC bedroht. „Wir können die PCC jetzt als Mafia betrachten; sie ist die erste brasilianische Mafia”, betonte er und fügte hinzu, dass „Brasilien eine Anti-Mafia-Gesetzgebung schafft”.
In Bezug auf die aktuelle Debatte zwischen Brasilien und den Vereinigten Staaten darüber, ob die wichtigsten kriminellen Gruppen des lateinamerikanischen Riesenlandes als terroristisch einzustufen sind, beschränkte er sich auf die Aussage, dass „kein Zweifel daran besteht, dass die PCC terroristische Handlungen begeht”. Damit sind nicht nur die Aufstände in den Gefängnissen gemeint, bei denen in der Vergangenheit Köpfe abgetrennt und Leichen zerstückelt wurden, sondern auch die berühmte Ausgangssperre in São Paulo im Mai 2006, als die PCC die Finanzhauptstadt des Landes in Schutt und Asche legte, um gegen eine Verlegung von Häftlingen zu protestieren. Das Ergebnis war ein Massaker mit mehr als 500 Toten. Für Gakiya „wird das Thema Sicherheit bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr entscheidend sein”, da die PCC ihr kriminelles Ziel immer weiter ausdehnt. „Sie ist in 28 Ländern präsent; in Lateinamerika ist sie in Paraguay, Ecuador, Kolumbien, Argentinien, Mexiko und sogar in Chile vertreten, wo der Ausbau des Hafens von San Antonio, dem wichtigsten des Landes, zweifellos auch ein Magnet für die brasilianische kriminelle Organisation sein wird”, sao Gakiya. Es ist gerade die zunehmend internationale Dimension der PCC, die Anlass zur Sorge gibt.
An dem Seminar in São Paulo nahm auch Gretchen Peters teil, US-Expertin für transnationale organisierte Kriminalität und Geschäftsführerin der Alliance Against Crime Online (Allianz gegen Online-Kriminalität). „Brasilien ist eine der komplexesten Situationen in Südamerika. Das Land ist mit transnationalen organisierten kriminellen Gruppen konfrontiert, von denen einige aus Kolumbien, andere aus Bolivien und wieder andere aus Peru stammen und Brasilien durchqueren, um Kokain und andere illegale Waren zu transportieren“, erklärte Peters. „Dies führt zu einer Zunahme der Gewalt in ländlichen Gebieten. Natürlich gibt es in Brasilien auch viele sehr mächtige kriminelle Gruppen, die ihrerseits viel Gewalt und Schaden in den Gemeinden anrichten“, fügte Peters hinzu.
Die PCC entstand und wuchs in brasilianischen Gefängnissen
Am Donnerstag wurde der Jahresbericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass der weltweite Kokainmarkt Rekordwerte erreicht hat, angetrieben von Kolumbien dank einer erheblichen Ausweitung des illegalen Kokaanbaus, insbesondere im Südwesten des Landes, wo ehemalige Dissidenten der FARC operieren. Die weltweite illegale Produktion erreichte 3.708 Tonnen, was einem Anstieg von 34 % gegenüber 2022 und dem Zehnfachen gegenüber dem Stand vor einem Jahrzehnt entspricht. Im Jahr 2023 produzierte allein Kolumbien 2.600 Tonnen Kokain, was einem Anstieg von 53 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Zahl der Konsumenten weltweit stieg auf 25 Millionen, gegenüber 17 Millionen im Jahr 2013. Die Hauptmärkte sind nach wie vor Nordamerika, Mittel- und Westeuropa sowie Südamerika, während Ozeanien (Australien und Neuseeland) den höchsten Konsumanteil unter Erwachsenen aufweist (3 %).
Die Kokainbeschlagnahmungen erreichten mit 2.275 Tonnen einen neuen Rekordwert, was einem Anstieg von 68 % gegenüber dem Durchschnitt der vier Vorjahre entspricht. Parallel dazu boomt auch der Markt für synthetische Drogen, dank niedriger Produktionskosten und geringerem Risiko, entdeckt zu werden. Methamphetamine machten fast die Hälfte aller im Jahr 2023 beschlagnahmten synthetischen Drogen aus, gefolgt von synthetischen Opioiden wie Fentanyl. Laut dem UNODC-Bericht für Brasilien waren zwischen Juli 2022 und April 2023 Nitazene (insbesondere Metonitazene) die am häufigsten gemeldeten Drogen bei Opioid-Beschlagnahmungen. Sie wurden auch in Mischungen mit synthetischen Cannabinoiden und Kokain gefunden. Die Ausbreitung von Kokain in Brasilien nimmt derart zu, dass am 11. Juni der internationale Flughafen Guarulhos-São Paulo, das wichtigste Luftverkehrszentrum Lateinamerikas, vorübergehend geschlossen wurde. Der Grund: Im Luftraum tauchten von Drogenhändlern gesteuerte Drohnen auf, um mögliche Polizeibewegungen in der Umgebung des Flughafens zu überwachen, während Komplizen sich darauf vorbereiteten, Drogen in ein Flugzeug zu laden. Dem Bericht über den Vorfall zufolge drangen drei Personen mit etwa 150 kg Kokain, das für einen Flug nach Johannesburg in Südafrika bestimmt war, in den Sperrbereich des Flughafens ein. Als sie jedoch vom Sicherheitspersonal des Flughafens überrascht wurden, flohen sie in ein Waldgebiet innerhalb des Flughafens und ließen die Drogen zurück. In den letzten Jahren hatte es bereits Fälle von Kokainschmuggel ohne Wissen der Reisenden auf demselben Flughafen gegeben, und im November 2024 wurde Vinicius Gritzbach direkt vor dem Eingang des Flughafens ermordet, nachdem er der PCC geholfen hatte, Millionen von Real zu waschen, und begonnen hatte, mit der Justiz zusammenzuarbeiten.
Ende Mai machte auch die Entdeckung eines mit Drogen beladenen Halbtauchboots im Amazonasgebiet auf der Insel Marajó im Bundesstaat Pará Schlagzeilen. Das Schiff war für den Transport von Kokain nach Europa bestimmt. Die Ermittlungen brachten dieses Schiff mit einem weiteren Halbtauchboot in Verbindung, das im März in Portugal beschlagnahmt worden war, was bestätigte, dass beide in derselben Region von Pará gebaut worden waren, um eine transatlantische Route aufzubauen. In den letzten Jahren haben kriminelle Gruppen wie die PCC und das Comando Vermelho ihre Aktivitäten im Amazonasgebiet ausgeweitet und nutzen Flüsse wie den Solimões, um in Bolivien, Peru und Kolumbien produzierte Drogen zu transportieren. Neben dem Drogenhandel sind diese Organisationen auch in Umweltverbrechen verwickelt und unterstützen illegale Abholzung und Bergbau im Amazonas-Regenwald. Anfang Juni deckte eine internationale Untersuchung ein ausgeklügeltes und hoch organisiertes Kokainhandelsnetzwerk zwischen Brasilien und Europa auf, dessen logistischer Hauptstützpunkt im Hafen von Santos im Bundesstaat São Paulo, einem der größten Häfen Lateinamerikas, liegt.
Die spanische Polizei beschlagnahmte 4 Tonnen Kokain im Wert von schätzungsweise 1,4 Milliarden Reais (255 Millionen Dollar) und nahm 48 Personen fest. Das Kokain stammte aus Kolumbien, Peru und Bolivien und wurde nach Brasilien transportiert und im Hafen von Santos verschifft. Auf hoher See, vor der Atlantikküste, wurde es auf „Narcolanchas”, also Schnellboote, umgeladen, die sogenannte „Go Fast”-Methode. Die Kommunikation zwischen den Schmugglern erfolgte verschlüsselt über Satellitenterminals, während für die Versorgung der Schnellboote ein verlassenes, halb versunkenes Schiff verwendet wurde, das im Ozean versteckt war und Fässer mit Treibstoff enthielt. Die PCC gilt als Hauptverantwortliche für die Logistik und den Export von 4 bis 5 Tonnen pro Monat mit einem Jahresgewinn von über 5 Milliarden Reais (912 Millionen Dollar). Neben Santos werden auch alternative Häfen wie Salvador genutzt, wo kürzlich 560 kg Kokain beschlagnahmt wurden, die für Schweden bestimmt waren. Laut dem Bericht der UNODC war der Drogenhandel in Brasilien im Jahr 2023 das am häufigsten mit Finanzkriminalität in Verbindung gebrachte Delikt und machte 31 % aller dieser Straftaten aus.
Dies ist ein Anstieg gegenüber den 17 % im Jahr 2014, als Korruption das am häufigsten genannte Delikt war. „Meiner Meinung nach ist der Schwachpunkt für Geldwäsche in Brasilien die mangelnde Kontrolle bei der Gründung von Unternehmen und vor allem bei Kapitalerhöhungen“, erklärt Fábio Ramazzini Bechara, Staatsanwalt der Sonderkommission zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Gaeco) der Staatsanwaltschaft von São Paulo. „In Brasilien werden jeden Tag viele Unternehmen gegründet und geschlossen oder Kapitalerhöhungen vorgenommen, aber es gibt keine Kontrollen. Das ist nicht nur ein Problem der Gesetzgebung, sondern auch der Überwachung“, so Bechara. Dem Beispiel der italienischen Mafia folgend, hat auch die PCC Einzug in die legale Wirtschaft gehalten. „Sie ist stark vertreten, von Bauunternehmen über Nichtregierungsorganisationen im Gesundheitswesen bis hin zu Wechselstuben in Paraguay“, bekräftigt Gaeco-Staatsanwalt Lincoln Gakiya.
Unterdessen wird die Kommission für öffentliche Sicherheit der brasilianischen Abgeordnetenkammer am kommenden Dienstag eine öffentliche Anhörung zum Verfassungsänderungsvorschlag (PEC) 18/25, bekannt als PEC der öffentlichen Sicherheit, abhalten. Dieser Vorschlag zielt darauf ab, die Struktur der öffentlichen Sicherheit in Brasilien zu reformieren und eine stärkere Integration zwischen den verschiedenen föderalen Ebenen und den Ordnungskräften zu fördern. Trotz der Kritik einiger Gouverneure halten Experten dies für einen bedeutenden Schritt zur Bekämpfung der Kriminalität in Brasilien.
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