Das kolumbianische Gesetz über Gerechtigkeit und Frieden feiert am 25.7.2010 seinen fünften Geburtstag.
Über 50.000 demobilisierte Kämpfer seit 2005, von denen die ganz große Mehrheit lediglich die Tatbestände der Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung sowie illegales Uniform-/Waffentragen begangen haben soll; Delikte, die einer Amnestie unterfallen. Sie befinden sich in mehr oder weniger erfolgreichen Wiedereingliederungsmaßnahmen. Diejenigen, die darüber hinaus schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben, haben sich freiwillig dem vorgenannten Gesetz über Gerechtigkeit und Frieden unterworfen. Diese, zur Zeit etwa 4.000, Täter, werden von einer Sondereinheit der kolumbianischen Generalstaatsanwaltschaft untersucht. Geständnisse werden vor den zwischenzeitlich 59 Staatsanwälten abgegeben. Sagen die Täter die volle Wahrheit, geben sämtliche Vermögenswerte zur Entschädigung der Opfer ab und vorausgesetzt, dass nicht mehr rückfällig werden, erhalten statt einer Freiheitsstrafe von bis zu 60 Jahren eine solche zwischen fünf und acht Jahren. Erst dieser Anreiz hat die Demobilisierung in den Jahren 2005 und 2006 überhaupt möglich gemacht. Der kolumbianische Staat hatte es zuvor nie geschafft, sein Gewaltmonopol im gesamten kolumbianischen Territorium durchzusetzen. Er hat folglich die Menschenrechtsverletzer nicht besiegt, so dass er im Rahmen von Verhandlungen Zugeständnisse machen musste. Die kolumbianische Regierung sieht diesen Prozess dennoch als einzigartig an. Andere sprechen von einer Perpetuierung der Straflosigkeit durch das in Rede stehende Gesetz, da es unverhältnismäßig niedrige Strafen für schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorsieht.
Über 40.000 gestandene Morde, mehr als 1.300 aufgeklärte Massaker, knapp 3.300 gefundene Leichen, davon 900 an Angehörige übergeben. So ein Teil der Bilanz. Im Jahr 2009 dann endlich die ersten Anklagen. Vor einem Monat das erste Urteil in diesem komplizierten Prozess. Kompliziert, weil die Taten sich teilweise auf eine dreißigjährige Tätigkeit in einer illegalen Gruppe beziehen und die Zahl der Opfer immens hoch ist. Bisher sind über 250.000 Opfer registriert. Da Kolumbien einen der vordersten Plätze weltweit bei den Binnenvertriebenen einnimmt – es sollen mehr als 3 Mio. sein – ist schon allein deswegen mit einem erheblichen Anstieg der Opferzahlen zu rechnen, was zu einer Überforderung nicht nur der Generalstaatsanwaltschaft führt. Andere Institutionen, die vorgeben Opfer zu betreuen oder zu verteidigen, sind schon jetzt überfordert.
Das Gesetz über Gerechtigkeit und Frieden ist ein Beispiel der „Transitional Justice“. Ein Modell, welches Staaten im Übergang von einer Diktatur zu einer Demokratie oder von einem Kriegszustand zu einem friedlichen Miteinander helfen soll. Dabei sollen die Säulen dieser Übergangsjustiz, namentlich Gerechtigkeit, Wahrheit und Opferentschädigung, einhergehend mit staatlichen Reformen in einem angemessenen Verhältnis stehen, um letztendlich einen dauerhaften Frieden unter Aufarbeitung der Vergangenheit zu gewährleisten. Schwere Menschenrechtsverletzungen sollen nicht straffrei sein.
Das kolumbianische Modell gibt erheblich im Bereich der Gerechtigkeit nach. Maximal acht Jahre Freiheitsstrafe sind im Verhältnis zu den begangenen Taten gering. Dieses Defizit wird aufgewogen mit einem großen Maß an Wahrheit und einer integralen Entschädigung der Opfer. So die Theorie.
Die ersten 5 Jahre des Gesetzes haben zunächst offenbart, wie der Paramilitarismus das Land beherrscht und dabei mit verschiedenen staatlichen Institutionen zusammengearbeitet hat. Daraus resultierende Strafverfahren gegen Bürgermeister, Militärs und Abgeordnete, die nunmehr von der ordentlichen Justiz untersucht werden, sprechen eine deutliche Sprache. Die Finanzierungsquellen und die systematische Vorgehensweise bei der Begehung der Taten gegen die Zivilbevölkerung sind im Ansatz aufgearbeitet. Gräber sind entdeckt, menschliche Überreste ausgegraben und den Angehörigen übergeben. Es ist folglich eine Wahrheit zutage gekommen, mit der nur wenige vor fünf Jahren gerechnet haben. Das große Maß an Wahrheit rechtfertigt zwar grundsätzlich die geringe Freiheitsstrafe von maximal acht Jahren, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Praxis erst eine Verurteilung zweier Kommandanten gegeben hat. Eine Wiedergutmachung oder Entschädigung der Opfer hat es bisher im Rahmen des Gesetzes über Gerechtigkeit und Frieden noch nicht gegeben. Diesbezüglich ist der vorgesehene Weg einer Entschädigung im Rahmen des Strafprozesses wahrscheinlich nicht erfolgversprechend, weil er zu langsam ist und vor allem nicht alle Opfer zu gleichen Zeit angemessen entschädigen kann.
Der Staat muss einspringen und eine koordinierte und gerechte Entschädigung garantieren. Andere Korrekturen sind ebenfalls erforderlich. Eine bessere Koordination der unzähligen, im Friedensprozess involvierten Institutionen, eine bessere Auswahl der anzuklagenden Fälle und Delikte nach transparenten Kriterien sowie eine stringentere Handhabung der so ausgewählten Fälle ist erforderlich. Alternativmaßnahmen, um einige Verfahren beschleunigt abzuhandeln – etwa in Wahrheitskommissionen – müssen angedacht werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass das Modell der Übergangsjustiz – gedacht für einen befristeten Zeitraum – nicht die ordentliche, permanente Justiz ersetzt. Ferner bedarf der Wiedereingliederungsprozess erheblicher Verbesserungen. Nicht umsonst fordert das Gericht, welches das erwähnte erste Urteil verfasste, einen „ernsthaften“ Prozess der Wiedereingliederung der Täter in die kolumbianische Gesellschaft.
Es gibt demnach noch viel zu tun. Der richtige Weg ist eingeschlagen. Werden die erforderlichen Korrekturen durchgeführt, wird der 10. Geburtstag des Gesetzes sicher ein glücklicher werden.
Autor: Andreas Forer
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