Am Abend, wenn die untergehende Sonne die Fassaden zum Leuchten bringt, zieht es die Habaneras ans Meer.
Der livrierte Portier reißt die Mütze vom Kopf. Aus dem Nichts tauchen weiß-uniformierte Pagen auf, die erst die Türen öffnen und dann die Koffer auf ihren kleinen Wagen laden. Im Hotel „Nacional“ ist die Zeit stehen geblieben. Hier scheint der „Tanz der Millionen“ noch stattzufinden, die Tage, als die Zuckerpreise nach oben schnellten und sich Havanna zum Paradies für Spiel, Alkohol und Prostitution entwickelte. Aber das war 1920. Das „Nacional“ wurde 1930 eröffnet, ein Jahr nach dem Börsenkrach.
Heute ist es Havannas prestigeträchtigstes Hotel. Es dominiert die Skyline-Silhouette der Stadt. Ein Juwel der Art-deco-Architektur, das seinen Gästen einen wunderbaren Blick über die Dächer der Millionenstadt bietet. Und auch in Details US-amerikanischen Charme aufweist, wie der fest installierte Flaschenöffner an der Badetür beweist. Winston Churchill, Fred Astaire, Buster Keaton und Walt Disney sind hier abgestiegen. Später auch der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin. In der Bar sind die Stars in Bildern festgehalten.
Im Nobel-Restaurant im Erdgeschoss sind jene Jahre konserviert. Gänge a la Carte. Kubanische Gerichte, auserlesene Weine aus Spanien und Südafrika. Oberkellner in Schwarz schweben durch den Raum. Volkstümlicher geht es dagegen im Hotelpark zu. Hier herrscht Barbecue-Stimmung. Großfamilien haben sich auf dem Rasen niedergelassen, unter dem sich die Reste einer Festungsanlage mit mächtigen Geschützen verbergen.
Die verschiedenen Gesichter der Uferpromenade
Havanna lädt ein zum Träumen. Insbesondere, wenn die untergehende Sonne ihr sanftes Licht über die Fassaden streichen lässt. Dann ist der Malecon wunderschön. Die verblichenen Pastellfarben leuchten sanft. An der Uferpromenade füllt das Salz des Meeres die Luft. Der Malecon ist eine Liebe auf den ersten Blick, die ein Leben lang hält. Man muss ihn nur zum richtigen Zeitpunkt kennenlernen. Während der Dämmerung. Wenn die Sonne im Meer untergeht und mit ihrer letzten Kraft die Fassaden zum Leuchten bringt. Dann spiegelt Havanna einen Glanz vor, den es nie gab. Denn die US-amerikanischen Stadtplaner haben sich den falschen Ort für ihre Utopien ausgesucht. Vor mehr als 100 Jahren wurde der Malecon angelegt. Kuba stand damals unter nordamerikanischer Besatzung. Militärgouverneur Leonard Wood ließ am Nordufer eine Promenade aufschütten. Seitdem kämpft das Meer gegen die Ufermauer. Erbarmungslos und beharrlich. Es hat sie über- und den Gehweg dahinter unterspült. Große, tiefe Löcher gähnen im Asphalt.
Der Malecon ist das Gesicht Havannas. Sagt Bernardo, der Reiseleiter. Ein acht Kilometer langes Gesicht. Voller Spuren eines ausschweifenden Lebens. Sie müssen die Stadt mit den Augen und dem Herzen sehen. Bernardos Worte. Der Tourist muss alles im Blick haben. Die Wellen, den drohenden Absturz in den Untergrund, die wohlgeformten Beine der Mulattinnen, die eine Dollar-kräftige Begleitung für die Nacht suchen, die immer noch prächtige Architektur, die zahlreichen Kneipen, den prächtigen Sternenhimmel. Der Malecon ist der Lieblingsort der Habaneras. Auf seiner breiten Mauer trifft sich an den Wochenenden die halbe Stadt. Die Angler, die Rumtrinker, die Nussverkäufer, die Familien, die Liebespaare. Wenn nicht eine Kaltfront aufzieht. Die wirft dann zwei bis vier Meter hohe Wellen über die Mauer, und die Kubaner ziehen es vor, zu Hause zu bleiben.
Die sozialistische Mangelwirtschaft hat Havanna zwar verfallen lassen. Trotzdem hat die Revolution die historische Architektur der Stadt gerettet. Denn der Plan der von Diktator Fulgencio Batista ins Leben gerufenen staatlichen Planungskommission sah den Abbruch der Erdgeschossfassaden der Kolonialgebäude vor. Überdachte Fußwege sollten entstehen. Heute stützen gefährlich aussehende Holzkonstruktionen die Fassaden. Jeder Hurrikan fordert seinen Tribut. Alltag sind abgeblätterte Fassaden, bröckelnde Balkone.
Das Hotel Deauvill ist renoviert. Ein Handtuch flattert von einem Balkon auf die Straße. Ein Taxifahrer hebt es auf und bringt es ins Hotel. In einem der wenigen sanierten Gebäude ist ein afrokubanischer Klub. Die Musik aus dem ersten Stock dringt auf die Straße. Drei Pesos verlangt der Mann im Erdgeschoss. Als ein Tourist ihm die silbern glänzende Münze mit dem Che-Guevara-Abbild in die Hand drücken will, wird er deutlicher. Drei Pesos heißt am Malecon drei Dollar. „Moneta Nacional“ ist nicht gefragt. Die Jagd auf Devisen ist der Hauptzeitvertreib der Habaneras.
Auch deswegen stehen an jeder Ecke Polizisten in schmucken Uniformen. Trillerpfeife und Gummiknüppel sind griffbereit. Die Staatsmacht demonstriert ihre Präsenz. Kuba ist eines der sichersten Reiseländer der Erde. Deshalb versteht der deutsche Botschafter auch den Werbeslogan des Tourismusministeriums nicht: Warum werben die Kubaner mit „Cuba si“, statt mit „Kuba, die sichere Erholung“?
Havanna lässt sich auf viele Arten entdecken. Am interessantesten und spannendsten erscheint der Fußmarsch. Die angenehmste Art, die Sehenswürdigkeiten kennenzulernen, ist die Rundfahrt per Kutsche. Start ist nahe des Castillos de la Real Fuerza. Zuvor kann die elegante Plaza de Armas mit ihren Barockgebäuden und tropischer Vegetation besichtigt werden. Die Kutsche fährt dann entlang des Hafenbeckens. Von der anderen Seite grüßt eine 18 Meter hohe Christusfigur. Weiter geht die Fahrt an alten Kirchen, Anlegestellen für Kreuzfahrtschiffe, Fabriken. Der prächtige Bahnhof taucht auf.
Der Tanz um den Dollar ist allgegenwärtig
Obligatorischer Kutschenstopp ist das Kapitol. Ein monumentaler Bau. Über einen Zeitraum von 16 Jahren errichtet, mehr als 200 Meter lang, von Säulen umgeben. 1929 als Regierungssitz eingeweiht. Die Kutsche fährt weiter. Im einstigen Präsidentenpalast befindet sich das Revolutionsmuseum. Sowjetische Panzer stehen davor. Das Pferd trabt am Paseo del Prado entlang. Der elegante Boulevard führt zum Meer. Direkt auf den Wall des Castillo de la Punta zu. Es geht zum Ausgangspunkt der Fahrt. Jetzt kann das Hotel Ambos Mundos besichtigt werden. Der Schriftsteller Ernest Hemingway residierte einst hier. Im Park am Kapitäns-Palast liest eine Straßenkehrerin halblaut aus der neuesten Nummer der „Granma“. Nebenan posieren junge Frauen in farbenprächtigen Kostümen vor den Kameras der Touristen. Sie, wie auch die Wahrsagerin in weißer Santeria-Kleidung, sind Angestellte des Tourismusministeriums. Havannas Innenstadt lebt vom Tourismus. Heute tanzt hier der Dollar.
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