Manche Revolution ist nur durch Demokratie zu stoppen!

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Datum: 29. September 2010
Uhrzeit: 12:34 Uhr
Ressorts: Editorial
Leserecho: 1 Kommentar
Autor: Dietmar Lang
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)
► Statt dem Revolutions-TGV rollt nun eine alte Dampflok über die zerschundenen Gleise Venezuelas

Hugo Chávez hat die Parlamentswahlen in Venezuela als Sieg verbucht. Und damit hat er zweifellos Recht. Die Parlamentarier der „bolivarischen Revolution“ und des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ haben die absolute Mehrheit in Bezug auf die Abgeordneten erzielt, sie stellen 98 der 165 Sitze. Prozentual sieht es dagegen etwas anders aus. Die Mehrheit der Wähler hat gegen die Chavisten gestimmt, rechnet man die Opposition vom „Tisch der nationalen Einheit“ und die unabhängigen Parteien zusammen.

Würde man, wie es in einer Demokratie normalerweise üblich ist, jede Stimme gleich bewerten, so käme man fast auf eine Patt-Situation. Regierung und Opposition hätten jeweils rund 82 plus-minus einen Sitz, die Welt wäre ein wenig gerechter. So wie es ganz verwunderlich bei der Wahl zum lateinamerikanischen Parlament mit jeweils fünf Sitzen für Regierung und Opposition geschah. Aber dies scheint der machthungrige Despot schon vorhergesehen haben. Daher liess er einfach das Wahlsystem ändern, teilte die Wahlbezirke neu auf und wertete das Stimmengewicht in oppositionsfreundlichen Regionen einfach ab. Nur so war es möglich, sich durch diese „Manipulation“ rund 16 zusätzliche Sitze zu erschleichen. Und dies bei einem Vorsprung im Promille-Bereich. Natürlich demokratisch und verfassungsrechtlich außerordentlich legal.

Tatsächlich hat er jedoch in Bezug auf vorangegangene Wahlen über eine Million Stimmen verloren. Und dies ist die grosse Niederlage des Hugo Chávez vom vergangenen Sonntag. Diese erdrutschartigen Verluste sorgten zum einen dafür, dass trotz der Wahl-Trickserei die Zwei-Drittel-Mehrheit flöten ging, mit der die alleinige Kontrolle über den Obersten Gerichtshof und den Nationalen Wahlrat nun historischer Fakt ist. Zudem verfehlte er sogar die Drei-Fünftel-Mehrheit, um wichtige Gesetze im Eilverfahren durchzupeitschen oder sogar per Dekret regieren zu können.

Aus dem Revolutions-TGV ist durch die erneute Etablierung demokratischer Strukturen eine alte Dampflok auf zerschundenen Gleisen und morschen Schwellen geworden. Der ehemalige Oberstleutnant wird nun mit der Opposition reden, zähneknirschend Zugeständnisse machen müssen. Die Opposition hat es allerdings auch nicht leicht. Sie kann weitere Änderungen verhindern, aber ob sie eigene Ziele durchsetzen wird, darf bezweifelt werden. Und so wird leider vermutlich alles erst einmal so bleiben wie es ist. Nur eben demokratischer.

Den Status Quo bis zu den Präsidentschaftswahlen 2012 zu halten, darauf dürfte Chávez nun vor allem aus sein. Schließlich will er dann erneut kandidieren. Doch sollte sich die Wirtschaftslage nicht verbessern, die Lebensmittelversorgung nicht normalisieren, die Inflation und die Kriminalität nicht in den Griff zu bekommen sein, dürfte die zuletzt um 17 Prozent gesunkene Popularität des Staatsoberhauptes weiter fallen. Und dies wäre dann die Chance, Venezuela im lateinamerikanischen Kontext wieder auf den richtigen Weg zu führen. Und das Wort „Revolution“ endlich aus dem politischen Wortschatz des Landes zu streichen.

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Die Kolumne von latinapress Herausgeber Dietmar Lang – Gedanken und Erfahrungen über das Leben in Lateinamerika und der täglichen Berichterstattung von Nachrichten aus Südamerika und der Karibik.

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Kommentarbereich

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  1. 1
    Philipp W.

    Ich halte es für wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in Venezuela eine totale Unabhängigkeit und Autonomie der Staatsgewalten gibt. Deshalb ist es nicht treffend, wenn man darauf
    hinweist:

    „Daher liess er einfach das Wahlsystem ändern, teilte die Wahlbezirke neu auf und wertete das Stimmengewicht in oppositionsfreundlichen Regionen einfach ab.“

    Für all jene, die die politische und soziale Realität Venezuelas nicht kennen, ist es gut zu wissen, dass in unserem Land traditionell grosse Teile der Bevölkerung bewusst ausgeschlossen wurden vom Mitspracherecht und vom Recht, ihre Behörden zu wählen. Vorgesehen waren Erleichterungen für die Ausübung des Stimmrechts, was aber nur in den Stadtteilen wohlhabender Kreise Anwendung fand, während sich nur sehr wenige oder fast keine Möglichkeiten zum Abstimmen in den Stadtteilen, die von den ärmsten Kreisen der Bevölkerung bewohnt waren, fanden. Dies änderte sich auf Antrag von weiten Teilen der Bevölkerung, welche den Vorschlag der nationalen Wahlbehörde (CNE) und dann dem Parlament unterbreiteten, wo unter Einhaltung aller relevanten Rechtsvorschriften die Schaffung neuer Wahllokale in Stadtteilen mit grosser Wählerkonzentration genehmigt wurde. Dies, um ihnen Einrichtungen und würdige Bedingungen zur Ausübung ihres Wahlrechts zu ermöglichen. Deshalb ist es keine „vom Despoten Chávez gemachte Änderung“. Es handelt sich um ein dem Volkswillen entsprungenes Gesetz. Es wurde von der Wahlbehörde (CNE) entwickelt, dem Parlamente unterbreitet, wo es genehmigt wurde und der Präsident hat es einfach erlassen, so wie es unseren gesetzlichen Vorschriften entspricht.

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