Bei unserem Aufenthalt Ende Februar bis Anfang März hatten wir die Gelegenheit, die zwanzigste internationale Buchmesse in Havanna zu besuchen. Wir nutzten den windigen und relativ kühlen Sonntag zuerst, um auf den Spuren Ernest Hemingways zu wandern, bis uns unser Freund Alessandro darauf aufmerksam machte, dass drüben “auf dem Felsen” eine riesige Buchmesse statt fände, und halb Havanna wäre dort mit Sack und Pack und Kind und Kegel. Wir beendeten unsere kleine Hemingway-Runde (Vom Hotel Inglaterra durch den Parque Central, am Museum der feinen Künste vorbei zum Floridita, weiter über die Obispo und nach links zur Bodeguita del Medio, wo wir eigentlich etwas trinken wollten). Allerdings war da so viel los, dass wir auf der Stelle kehrt machten und zurück zum Park und über den Prado Richtung Malecon gingen.
Wir nahmen einen der rammelvollen öffentlichen Busse und fuhren unter der Bucht hindurch auf die andere Seite, stellten uns so, wie alle anderen an, bis wir die Nerven verloren und uns einen Alternativeingang suchten und bei einem jungen Mann, der als Sicherheitsmann am Zaun seinen Dienst versah, auch fanden..
Die Festungsanlage, die auf dem Ostufer der Bucht liegt, fällt nach hinten hin über weite Wiesen sanft ab, die während der Buchmesse zigtausende Leute aufnahm. Es gab Imbissbuden und Zelte, wo man Bier und Limonade kaufen konnte. Als wir endlich im Inneren der Festungsanlage waren, eingekeilt zwischen tausenden Menschen, die bald hierhin und bald dahin zogen und schoben und drückten, dachte ich: Reinaldo Arenas würde weinen.
Während der kubanischen Revolution diente die Festungsanlage nicht nur Che Guevara als Hauptsitz, sondern auch als Gefängnis, in dem vor allem Kritiker der Revolution, Rechtsbrecher, Intelektuelle und Schriftsteller und Homosexuelle eingesperrt wurden und unter menschenunwürdigen Bedienungen dahinvegetierten. Einer von ihnen war der Schriftsteller Reinaldo Arenas, der zu Beginn der Revolution Feuer und Flamme für die Sache war, dann aber begriff, dass er selbst einer von denen war, die von den Belangen der Revolution ausgeschlossen und an den Rand gedrängt wurden. Sein Werk wurde zensiert und dann verboten. Man warf ihm Pornographie vor, was aber nur ein Vorwand dafür war, seine systemkritischen und nonkonformistischen Texte zu verbieten. 1973 wurde Reinaldo Arenas verhaftet und gezwungen, sein Werk zu widerrufen. Arenas schrieb in seiner Biographie Bevor es Nacht wird: „Jede Diktatur ist Lust- und lebensfeindlich; jeder, der ein bisschen Lebensfreude zeigt, gilt in einem dogmatischen Regime schon als Feind.“
In dieser dunklen Zeit schrieb Arenas wirklich um sein Leben, um die Unversehrtheit seines Verstandes, und wurde schließlich gebrochen.
Und heute dient der Ort, an dem er gezwungen worden war, sein Werk zu wiederrufen, wo er monatelang in tiefster Dunkelheit, eingepfercht in Hitze und Gewalt leiden musste, als Ort der Begegnung, der Literatur. Könnte er das sehen, würde er weinen: Männer jonglieren mit Dosenbier, gegrillten Hähnchen und Kleinkindern, schleppen stapelweise Bücher, tonnenweise Bücher aus den dunklen Verliesen, hinauf ans Licht, über die Bucht her weht ein kräftiger, erfrischender Wind, junge Paare gehen Hand in Hand, dort in der Menge und unbehelligt von allen, umarmen sich zwei halbwüchsige Jungs, und wieder: Familien, lachend und scherzend, vollgepackt mit Bücher und Prospekte, Kataloge, sie sitzen auf der Wiese im Kreis und zeigen sich ihre Einkäufe, und wenn sie nichts gekauft hatten, dann schmökerten sie in den Katalogen und kommentierten lautstark, was sie lasen und sahen.
Kinder ließen Drachen steigen, und flatternde Drachen im Wind über einer Büchermesse sind wohl das Zeichen der Freiheit schlechthin. Ich erfuhr erst später, dass die Buchmesse nicht mit dem zwanzigsten Februar endete, sondern nur die Zelte zusammenklappte und auf Wanderschaft ging, um auch in anderen Städten Kubas präsent zu sein.
Das Schicksal Reinaldo Arenas steht seither für mich stellvertretend für das zwiespältige Herz der Kubaner: Sie alle könnten hier glücklich sein, wenn es ihnen nicht so schwer gemacht würde, glücklich zu sein, und die vermeintliche Freiheit “drüben” entpuppt sich viel zu oft als kaltherzige, abweisende Enttäuschung. Reinaldo Arenas Leben in den USA, nachdem ihm die Ausreise gelungen war, war geprägt von Dunkelheit und Sehnsucht nach Kuba, vom Verlangen nach den zerstörten Hoffnungen, in Kuba glücklich zu leben.
Ein wunderbarer Bericht, mit viel Einfühlungsvermögen geschrieben. Weiter so!
Vielen Dank für den freundlichen Kommentar. Das war aber auch ein denkwürdiger Tag, da oben auf La Cabana :-)
Liebe Grüße,
Peter