In diesem Moment, kurz bevor er antwortete, stellte ich bei ihm eine Art innere Vollkommenheit fest, wie ich sie noch nie bei einem Mensch, und schon gar nicht bei jemand in seinem Alter festgestellt hatte. Er war bestenfalls zwanzig Jahre alt und war in sich, durch und durch vollkommen in dem, was er war oder sein wollte. Ich wusste nicht, was er war, spürte aber mit dem antrainierten Instinkt eines Menschen, der es liebt, zu beobachten und zu schreiben, dass die Schere zwischen seinen inneren Wünschen und den äußeren Umständen vollkommen geschlossen war.
Verstärkt wurde der Eindruck durch ein abbsolut entwaffnendes Lächeln; eine Art zu lächeln, wie sie mir besonders auf Kuba immer wieder begegnet. Es ist ein einladendes Lächeln, es sagt: Lach mit, komm schon! Es ist ohne Arglist, es bemisst nicht, es schätzt nicht ab, es tarnt keinen bösen Willen. Es ist einfach das, was es zu sein scheint. Lächeln. Man könnte verrückt werden.
Der Himmel über Land wurde immer dunkler und bedrohlicher, während das türkisfarbene Wasser blendend hell funkelte. Weiter weg polterte dumpfer Donner. Der Wind frischte auf. Wir schlenderten gemeinsam über die Düne zu der Imbissbude und ich fragte ihn, was er arbeitete. Er schaute mich an, als ob ich schwer von Begriff wäre und sagte langsam und deutlich, sozusagen in Touristenspanisch: “Ich bin Radfahrer.” Ich antwortete: “Gut, das verstehe ich. Aber was arbeitest Du?”
Er griff nach meinem Oberarm, lächelte verunsichert, so, als ob er befürchtete, ich würde ihn verspotten, und sagte noch einmal, während er mit der freien Hand zum Strand deutete, zu der Stelle, wo sein Fahrrad lehnte: “Ich bin Radfahrer. Ich fahre bei der Vuelta a Cuba mit. Jedes Jahr.” Wir gingen zu der Getränkebude, er sagte mir, sein Name sei Frank, nicht Franco, und sein Beruf sei es, für Cuba bei der Vuelta a Cuba anzutreten, Jahr für Jahr, und wenn er nicht auf der Vuelta a Cuba fuhr, dann trainierte er. Das ganze Jahr. Er gab zu, nicht wirklich hervorragend gut zu sein, aber doch gut genug, um von staatlicher Seite wohlwollend wahrgenommen zu werden. Soviel ich verstand, wurde er unterstützt, um seinen Verpflichtungen als Sportler nachkommen zu können, wobei er eingestand, dass sein um ein Jahr älterer Bruder als Jinetero wesentlich mehr zum gemeinsamen Haushalt beiträgt.
Sie leben zusammen in einem kleinen Haus in der Ortschaft Cidra, die etwa zehn Kilometer nördlich von Matanzas liegt. Mitten in der grünen Wildnis, wie Frank grinsend anmerkte. Sein Vater sei irgendwo in Santiago de Cuba und kein Grund stolz zu sein, die Mutter war vor fünf Jahren bei einem Unfall verstorben. Noch bevor wir unseren Platz am Strand erreichten, hatte er das Sandwich verdrückt und die Dose Sprite leer getrunken, sein Magen knurrte wieder. Frank lachte und sagte: “Ich habe immer Hunger. Sogar wenn ich schlafe. Ich könnte Tag und Nacht einfach nur essen, essen, essen.” Ich fragte ihn: “Kannst Du überhaupt trainieren, wenn Du so hungrig bist?” Er zuckte mit den Schultern und antwortete: “Es ist immer zu wenig. Ich kann immer alles geben, es ist immer zu wenig. Ich esse zu wenig, meine Leistung ist nicht gut genug, und deshalb trainiere ich noch mehr und fahre noch weiter und weiter.”
Ich sagte: “Weil Du Radfahrer bist.”
Er nickte und sagte grinsend: “Jetzt hast Du´s kapiert.”
Fortsetzung folgt …
Es gibt Sie noch Menschen die Einfach Zufrieden sind, und nicht ständig damit beschäftigt sind irgendetwas sinnlosem hinterherzuhecheln.Man hat dort auch nicht so den Bestätigungsdruck, und die Menchen mögen sich auch ohne das dies an eine gewisse Leistung gekoppelt ist.
Hi Jack,
damit hast Du natürlich recht: es gibt sie dort, diese Menschen, die von sich selbst aus dass zu sein scheinen, was Cubas Regierung wollte Der Reichtum Kubas liegt in den Ideen seiner Bürger.
Frank jedenfalls – und das wird sich im zweiten Teil der Geschichte erweisen – ist in seinem Herzen mehr Sozialist als es eine Regierung jemals sein kann, weil er die Werte lebt, ohne sie zu postulieren.
lg/Peter