Ich trank zwei Daiquiris, dann beschloss ich, aufzubrechen, durch die Obispa zu schlendern und das Ambos Mundos aufzusuchen. Dann stand noch die Bodeguita del Medio auf dem Programm, aber soweit dachte ich nicht voraus. Obwohl es ein Zeichen schlechten Benehmens ist, brach ich mit der brennenden Zigarre auf, schlenderte durch die Obispa und kehrte im Ambos Mundos kurz vor Mitternacht ein, wo ich zwei Mojitos zu wesentlich zivilisierteren Preisen trank. Außer mir war nur noch das Personal da, es gab niemand anzusehen oder um von jemand gesehen zu werden – was eh nicht so wichtig ist, also brach ich auf und hatte noch ungefähr die Hälfte der Zigarre zu rauchen. Ich konnte mich ungefähr daran erinneren, wo die Bodeguita war, also schlenderte ich einfach so drauf los, ging über den Platz vor der Kirche und bog links ab, mitten hinein ins dunkle Herz der alten Stadt.
Üblicherweise ist Havanna Tag und Nacht voller Leben, voller Getrappel und Rufe und Motorengeräusch, Brummen, Ziroen und Heulen. Hier aber war es dunkel und still und … etwas unheimlich. Unheimlich bedeutet nicht, dass es einen Grund gab, sich zu fürchten. Den gab es nämlich keineswegs. Aber die uralten, maroden Häuser mit ihren pitoresken Fassaden, in dieser fast greifbaren Dunkelheit, nur ein wenig erhellt vom Mond und den fernen Sternen, wirken beinahe wie Felsschluchten. Weiter oben sah ich das blauweiße Flackern von Fernsehapparaten, hörte das Geheul und Rufen einer Fußballübertragung, blechern und fern. Die Gassen der Innenstadt sind unbeleuchtet. Ich fand die Bodeguita unbeleuchtet und geschlossen vor, also machte ich mich auf den Weg zurück zum Parque Central. In dieser Stille und greifbaren Dunkelheit sah ich alte Männer, die im Schein des Hausflurs Domino spielten, geschart um einen wackeligen Klapptisch, ich sah halbwüchsige, die sich um ein halb zerlegtes Motorrad scharten und fachsimpelten und mich aufmerksam musterten, als ich vorbeiging. Ich sah ein paar Ehepaare mit kleinen Kindern, und niemand war laut, niemand rief, niemand kratzte an der Stille und der Dunkelheit. In einer Hauseinfahrt sah ich ein junges Paar engumschlungen, und die Finsternis trieb mich weiter, wobei ich leicht beunruhigt feststellte, dass ich die Orientierung verloren hatte. Dann hörte ich eine Gitarre. Nicht die übliche, kubanische Schrammelei sondern das zarte Zupfen eines langsamen, spanischen Flamencos. Ich war entzückt.
Eine Quergasse weiter, auf der rechten Seite saß ein etwa zwanzigjähriger Mann mit langen haaren, Kinnbart und Brille. Er hatte die Gitarre auf seinem Schoüß. Neben ihm saß ein halbwüchsiger Junge, der sein Bruder sein könnte, und ein Mädchen, das ihn verliebt ansah. Ich bliie bei der kleinen Gruppe stehen und hörte zu. Der Gitarrist blickte kurz hoch, nickte und blinzelte mir mit einem hauchdünnen Lächeln zu. Als ich vom Stehen genug hatte, setzte ich mich im Schneidersitz vor dieser Gruppe auf den Boden, rauchte die Zigarre und lauschte einem der wohl besten Gitarristen, den ich je live gehört hatte. Nach zwanzig Minuten stand ich auf, putzte den Hosenboden und kramte zwei CUC aus der Hosentasche. Ich gab sie ihm und sagte: “Würde mich freuen, wenn Du Dir etwas zu trinken kaufen könntest.”
Er nahm das Geld zögernd und lächelte: “Eine Flasche kubanische Nacht?” Ich nickte: “Solange Anjeo Blanco drin ist, klar!” Er, das Mädchen und der Junge lachten leise und bedankten sich. Wir verabschiedeten uns und während ich weiter schlenderte (Und zwei Minuten später die Orientierung zurückgewann), dachte ich, dass es keinen besseren Klang für die kubanische Nacht geben könne, als der einer akustischen Gitarre, die von nächtlichen Händen gespielt wird.
Schön beschrieben die Dunkelheit in Havanna. Ich hab das ganz ähnlich empfunden: Dunkelheit, die einen umhüllt, als könnte man sie greifen.