Seine Zugeständnisse an die Poesie der einfachen Worte, in denen er seine Propaganda wickelte, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ganz besonders ihm der Zugang zur individuellen, künstlerischen kubanischen Seele Zeit seines Lebens verwehrt geblieben ist. Che Guevara verstand etwas von Revolution und von den politischen und gesellschaftlichen Mechanismen, die zur Revolution führen. Dass diese Mechanismen allerdings auf jedes Volk und zu allen Zeiten anwendbar ist, legt bloß, dass weder Che noch Fidel Castro das Volk wirklich verstanden, welches sie befreien wollten. Castros Blick auf Kuba war zu besessen und zu akademisch, Ches Vision zu selbstgefällig in seiner schönmännlichen Revolutionsästhetik. Unterstützt wurde diese Selbstverklärung durch wütende Jugendliche einerseits, die kämpfen und siegen wollten, egal, welches Ziele verfolgt werden, und junge Frauen, die die Lehre vom puren Männlichen anbeteten und sich in der strikten Rollenverteilung wohlfühlten: Da glorreiche revolutionäre mit schönen Gesichtern, langen Haaren und wilden Bärten, dort jubelnde Kinder und Frauen.
All dies ging mir durch den Kopf, als ich in der Provinz Matanzas von der Stadt Matanzas Richtung Cidra wanderte. Cidra ist kein Grund, sich zu Fuß auf den Weg zu machen. Es ist eine kleine, sonnengebleichte Siedlung, die zwischen Feldern und kleinen Wäldern liegt. Bemerkenswert ist allein der See, der etwa dröstlich von Cidra liegt. Der Grund, warum ich nach Cidra wollte ist, weil der Ort in einem meiner noch nicht veröffentlichten Romane eine große Rolle spielt.
Ich hatte in Matanzas beim Bahnhof einen Wolkenbruch abgewartet und wanderte los, als die letzten Tropfen fielen. In meinem Roman Die Straße zum Mond wohnt die Hauptperson der Geschichte mit seinem Bruder in einem kleinen, nie fertiggestellten Haus am Rand der Ortschaft Cidra. Ich hatte den Ort via Google Earth ausgewählt, weil es nach allen Seiten hin die Weite und Einsamkeit auszustrahlen schien, die ich im Roman spürbar machen wollte. Ein flaches Land, wild und überwuchert mit grünem Leben, unter einem endlosen, heißen Himmel.
Zweimal wurde ich auf meinem Weg nach Süden von wüst zusammengeschraubten, busähnlichen Fahrzeugen überholt, auf denen sich die Menschenmassen drängten. Ich erfuhr später, dass das selbst organisierte Massentaxis sind. Es gibt keine feste Stationen, aber fixe Start- und Endpunkte. Die Fahrzeuge machen Krach und schlingern wie verrückt; auf dem ersten dieser Busse stand auf der Seite mit Lack aufgesprüht: Represent Cuba! So wird´s sein, dachte ich.
Eine Stunde später war ich am Ortsrand von Cidra und es war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es war so sehr so, dass ich mich unbewusst auf den Weg machte, den Ort durchquerte und auf einer auslaufenden Schotterstraße nach Osten ging, um das Haus zu sehen, das ich den beiden Brüdern angedichtet hatte.
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