Mit einem könnte Venezuelas mehr als umstrittenes Staatsoberhaupt Hugo Chávez sogar Recht behalten: die ehemalige libysche Machthaber Muammar al Gaddafi könnte tatsächlich ermordet worden sein. Hinter „Mord“ – so ist in eigentlich jedem Gesetzestext auf diesem Planeten nachzulesen – steht immer der Vorsatz der Tötung. Wer allerdings letztendlich den 69-jährigen auf dem Gewissen hat, dürfte schwer herauszufinden sein. Und dies ist ein nicht zu unterschätzendes Problem.
Keine 24 Stunden nach dem Tod Gaddafi’s wimmelt es im Internet nur so von Theorien. Vom bedauerlichen Kopftreffer bis zur gezielten Hinrichtung lässt sich aus den Spekulationen herauslesen, abgedrückt haben könnten die eigenen Anhänger, seine Leibwächter, die Rebellen. Auf offener Straße, auf dem Weg ins Krankenhaus, in einem Abwasserkanal – selbst über den Ort herrscht zur Stunde ebenfalls keine Klarheit. Eher halbherzig werden nun von verschiedenen Institutionen wie den Vereinten Nationen, dem Internationalen Strafgerichtshof oder Amnesty International Untersuchungen über die genaue Todesursache des Despoten gefordert. Im Zeichen des demokratischen Wandels in dem nordafrikanischen Land dürften die Vorgänge nicht unter den Teppich gekehrt werden. Recht haben sie, oder auch nicht!
Die fast 42-jährige Diktatur des Putschisten Gaddafi ist zu Ende. Und damit vermutlich auch der im Rahmen des „arabischen Frühlings“ ausgelöste Volksaufstand, den man teilweise zurecht auch als Bürgerkrieg klassifizieren könnte, wenn es denn politisch so gewollt wäre. Der Machthaber wurde gestürzt, er floh, versteckte sich, wurde aufgespürt und letztendlich geschnappt. In Gewahrsam genommen wurde Gaddafi lebendig, dies beweisen – wenn auch mehr als undeutliche und verwackelte – Handyaufnahmen. Was dann geschah, dies vermochte anscheinend niemand zu filmen. Oder nicht zu veröffentlichen. Wie dem auch sei, am Ende war der Verantwortliche für Jahrzehnte des Terrors und der Folter einfach mausetot.
„Im Krieg passieren solche Dinge nun einmal“ kommentierte gestern der chilenische Außenminister Alfredo Moreno die Nachricht lapidar. Der Politiker betonte natürlich im gleichen Atemzug, dass er Gaddafi lieber vor Gericht gesehen hätte. Am Wichtigsten sei jedoch, dass es nun eine Gelegenheit für Frieden und Fortschritt gebe. In dieses Horn bliesen auch die anderen Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas. Sie beeilten sich jedoch auch zu sagen, dass man den Tod Gaddafis keinesfalls feiern oder bejubeln dürfe.
Es sei ein „Angriff gegen das Leben“ gewesen, ereiferte sich später der vom Krebs gezeichnete Chávez mit verbitterter Mine. Gaddafi bleibe als „großer Kämpfer und Märtyrer“ in Erinnerung. Und könnte damit erneut gar nicht so falsch liegen. Außer es gelänge, den Tod des Diktators im politisch richtigen Licht darzustellen. Doch dies wird schwierig, kann man sich doch die Ereignisse immer so hindrehen, wie es einem passt. Held, Feigling oder irgendwas dazwischen – die Theoretiker in ihren klimatisierten Büros spielen bereits alle Konstellationen durch.
Die Abflussrohrvariante mit den panischen Hilferufen „Nicht schießen, nicht schießen“ eignet sich dafür genauso wie ein unglücklicher und mehr als versehentlicher Treffer bei einem auf der Flucht stattgefundenen Schusswechsel zwischen Gaddafi-Anhängern und Rebellen. Oder das trotzige Erwarten des sicheren Todes, nachdem man sich seiner vergoldeten Waffe bemächtigt hatte. Aber ein finaler Kopfschuß aus nächster Nähe – also die Hinrichtung eines möglicherweise unbewaffneten und vielleicht schon verwundeten 69 Jahre alten Mannes ohne Gericht und Urteil – ist ein wenig zuviel Salz in der frisch aufgesetzten Suppe der Demokratie.
Den Glorifizierern des Despoten, allem voran seine ehemaligen „Freunde“ in Venezuela und Kuba, würde diese jedoch vermutlich schmecken. Sie können mit verzogenem Gesicht nun auf die von den Medien in sekundenschnelle verbreiteten widerwärtigen Bilder verweisen, auf das Fehlen jeglicher Rechtsstaatlichkeit in einem Land auf der angeblichen Suche nach Demokratie. Und sie können so beiläufig anmerken, dass die todbringende Kugel vermutlich vom Westen bestellt, bezahlt und schließlich im Tausch für wertvolles Öl geliefert wurde. Wer will dem dann noch widersprechen?
Daher könnte sich bei den Beteiligten die Auffassung durchsetzen, eben nichts aufzuklären, nichts zu untersuchen und die Leiche samt Heiligenschein irgendwo nach einem anständigen Begräbnis im Wüstensand verrotten zu lassen. Sie wird in den kommenden Jahren in Ansprachen, Einweihungen und zu anderen Anlässen oft genug virtuell wieder ausgegraben werden. Und je blasser dann das Bildnis in den Köpfen der Menschen geworden ist, umso besser dürfte es für ein Libyen sein, wo ein heute 40 Jahre alter Mann sein ganzes Leben lang den omnipräsenten Revolutionsführer Muammar Muhammad Abdassalam Abu Minyar al-Gaddafi fürchten musste!
Unzählige Libyer hätten vermutlich lange Schlangen gestanden, für die Chance, ihm eigenhändig eine Kugel zu verpassen. Ich denke, die Zahl derer, die ihn lieber tot sehen wollte, ist grösser als die der Befürworter einer endlosen Seifenoper vor Gericht.
Und es würde mich auch nicht überraschen zu hören, dass aus Europa klare Anweisungen nach Libyen ergangen sind, Gaddaffi keinesfalls am Leben zu lassen. Er hätte sicher manchem Politiker und Geschäftsmann noch einen über stinkenden Skandal anhängen können.
„Und je blasser dann das Bildnis in den Köpfen der Menschen geworden ist, umso besser dürfte es für ein Libyen sein…“
Sehr treffend formuliert! Deshalb sollte man dem Typ nicht die Ehre erweisen, weiter über ihn zu reden oder zu schreiben. Der war gestern, heute ist er vorbei und vergessen.
Sie sagen es Martin. Deswegen finde ich den Satz des Autors:
https://latina-press.com/news/110401-brasilien-libysche-botschaft-feiert-tod-von-gaddafi/
@einem ehemaligen libyschen Führer, der das Land für etwa 42 Jahre regierte.
zutreffender wie zutreffend.