Die Delegationen diskutieren derzeit über das Abschlussdokument. Welche Chancen sehen Sie denn, dass überhaupt etwas zustande kommt?
Ich bin Berufsoptimist und Idealist. Deshalb hoffe ich schon, das etwas gutes zustande kommt. Ich bin mir nur nicht sicher, ob bei vielen Leuten schon angekommen ist, welche Probleme wir haben. Eurokrise hin oder her, das große Problem ist der Klimawandel, der Verlust der Artenvielfalt, die Desertifikation. Ich glaube, hier ist der Ort, an dem man momentan als Politiker sein muss. Ich hab die kleine Hoffnung, dass beschlossen wird, sich bald wieder zu treffen um über die Millenium Development Goals und über die nachhaltigen Entwicklungsziele zu verhandeln.
Sie haben es eben angesprochen, Politiker sollten hier sein. Wir haben 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen und es werden nur knapp 110 Staats- und Regierungschefs kommen. Auch Angela Merkel ist nicht mit dabei. Wie haltenn Sie von ihrer Absage?
Ich finde das schlecht, aber ich hoffe, dass sie sich noch umentscheidet. Ich glaube auch, dass sie sich selbst damit einen Bärendienst erweist, sie wurde ja einmal als die Klimakanzlerin gefeiert. Und ich glaube, sie läuft vor den Problemen weg, die wir haben. Natürlich gibt es relativ geringe Erwartungen an Rio+20. Aber wenn sie gar nicht erst antritt, dann kann man auch nichts erreichen. Das zeigt Geringschätzung für das Thema. Ich glaube schon, dass sie in ihrer Fähigkeit, Menschen vereinen zu können, einen wichtigen Beitrag an der Konferenz leisten konnte, dass sie den Unterschied machen könnte. Insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzung des Atomausstiegs ist Deutschland ja auch ein Land, welches mit gutem Beispiel vorangeht.
Wie sieht Ihr persönlicher Beitrag zur Nachhaltigkeit in Deutschland aus?
Ich beziehe Ökostrom, habe kein Auto. Ich versuche, so „grün“ wie möglich zu leben, auch wenn das nicht immer möglich ist. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass Flugtickets zu billig sind. Man bekommt die Leute nicht über den guten Willen, sondern über Anreizsysteme. Wir wissen, dass wir viel zu viel Energie verbrauchen und wir nicht nachhaltig leben. Aber wenn wir das ändern wollen, geht das bestimmt nicht über Sonntagsgerede, sondern nur über Anreizsysteme. Das muss jetzt keine Ökodiktatur werden. Wenn wir jetzt jedoch nicht reagieren, wird es die Ökodiktatur irgendwann geben. Weil wir es dann gar nicht mehr anders lösen können.
Was bedeutet für Sie persönlich Nachhaltigkeit?
Das ist zwar die abgelutschteste Definition die es gibt, aber sie ist noch immer erfolgreich: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Entwicklungschancen zukünftiger Generationen nicht beeinträchtigt.“ Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie unser das Handeln zukünftiger Generationen beeinflusst. Ich habe damit ein Problem, wenn Ressourcen verbraucht werden, die unwiderbringlich sind. Nachhaltigkeit etwas mit Zukunft, Verantwortung, aber auch mit Selbstachtung zu tun.
Ist Lateinamerika in diesem Jahr auch bei den Preisen der Äquatorinitiative berücksichtigt worden?
Dieses Jahr gehen sechs Preise an lateinamerikanische Projekte. Die Organisationen sind aus Mexiko, Honduras, Guatemala, Kolumbien, Nicaragua und Brasilien.
Können Sie uns einmal ein Projekte aus Lateinamerika vorstellen?
Brasiliens Gewinner ist die Frauenorganisation Articulação Pacari aus dem Sertão, einer besonders von Armut gezeichneten Trockensteppe. Dort haben die Frauen ein Apothekennetz mit alternativen Heilpflanzen aus einheimischen Pflanzen aufgezogen. Sie haben dafür traditionelles Wissen benutzt und haben sich wirtschaftlich gegen die Macht der Pharmakonzerne durchgesetzt.
Sie haben gerade die Pharmaindustrie angesprochen. Stichwort Biopiraterie: der Amazonas ist ja eine ware Fundgrube dafür. Was muss von der Weltgemeinschaft getan werden, um sowas zu verhindern?
Es muss sichergestellt werden, dass indigenes Wissen nicht einfach geklaut werden kann. Man muss Rechtssicherheit für diese Völker schaffen und gewärleisten, dass sie ihr Wissen und ihre Ressourcen vermarkten können. Sonst hat weder die Allgemeinheit etwas davon noch die Pharmakonzerne.
Das UN-Umweltprogramm ist ja noch keine Institution, genau wie das Entwicklungsprogramm. Soll es da zu einer Aufwertung kommen und wenn ja, warum?
Eigentlich sind sie das schon. Es gibt zum Teil auch sehr starke Realitäten. Das UN-Entwicklungsprogramm hat ein Budget von mehreren Milliarden im Jahr, das UN-Umweltprogramm hat glaube ich ein Budget von 200 Millionen im Jahr für weltweite Projekte. Das sind sozusagen Peanuts, man muss dies auf jeden Fall aufwerten. Auch weil es eine Schlüsselfunktion für die heutige Zeit hat. Daher müssten es zu einem eigenen Programm aufgewertet werden. Das UN-Umweltprogramm hat noch nicht die Ressourcen, um Zugriff zur Politik zu finden. Das findet beim Entwicklungsprogramm schon statt. Die Handlungsmöglichkeiten der UN werden generell aber eher überschätzt: ohne ein Mandat der Mitgliedsstaaten können sie nichts entscheiden, auch nicht bei Rio+20. Die Politiker und Minister entscheiden, nicht die UN-Programme, die nur ihre Bittstellerhand aufmachen können.
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