Es ist noch nicht lange her, da waren die Handys noch nicht angewachsen an beiden Ohrläppchen, da gab es noch keine Telefone die filmen konnten, Taschenradios mit Batterien und Fussballspektakel am Fernsehen aus Ländern, von denen man keine Ahnung hatte wo sie lagen. Es gab auch keine Zeitungen, und lesen können die meisten auch heute noch nicht. Man bildete einen Lakou (eine Nachbarschaftsgruppe) und sass zusammen, diskutierte was darin und rundherum geschah und von all dem Andern wusste man eben nichts.
Man heiratete kaum aus der Talschaft heraus, die Menschen von anderswo waren „unheimlich“ und suspekt. Die Sozialhilfe beschränkte sich auf den Lakou, aber dort war sie „vollkommen“. Alte und Kranke fanden hier ihren Platz. Man brauchte viele Kinder, die gemeinsam gepflegt und erzogen wurden, persönliches Eigentum und Egoismus gab es hier nicht.
Um Neuigkeiten auszutauschen, besuchte man sich zwischen den Nachbarschaften. Man half sich beim Hausbau und Heilen, beim Beten und bei der Magie. Die Post war nicht nötig, da die meisten gar nicht schreiben konnten. Erst mit der Erfindung der Tonbandkassetten kam der Wunsch auf, diese einander auch zuzustellen. Express- und Sonderleistungen gab es nur in der Stadt, und das einzige Geschäftszentrum in Pétion-Ville wurde angeblich wegen Drogengeschäften vom Staat konfisziert und dient heute als Wahlzentrum.
Als ich mich vor über 20 Jahren in Haïti ansiedelte, musste ich das alles am eigenen Leibe erleben. So konnten die unglaublichen Postgeschichten entstehen, aus denen ich einige zitiere: „Gelegentlich kommt auch Post, letzthin ein Stoss Briefe – schön gebündelt. Darunter viele Terminsachen, die Formulare für die Lebensbestätigung von der schweizerischen AHV (Altersversicherung), Einladungen zu Konzerten und Augustfeiern auf der Botschaft oder im Französichen Kulturzentrum, Stromrechnungen, eine Gerichtsvorladung von verrückten Amis in die USA, wegen eines ziemlich lächerlichen Rechtsstreits über den bewilligten Transfer meiner einstigen Dienstpistole nach Haïti, alles zu spät – VIEL zu spät (Ich bin ein Waffenschmuggler)! Ich nahm mir die Mühe, nach Stempeldaten zu sortieren: 3-6 Monate Verspätung war die Ausnahme, 3-6 Jahre die Regel. Du hast recht gelesen: 6 Jahre dauerte die Reise des Schlendergewinners bis zu mir nach Gressier!!!!
Ich hatte da einen Freund, ein Landsmann von mir. Ich muss leider sagen hatte. Er war mein bester Freund, hatte eine Stiftung zur Rettung gefährdeter Kinder gegründet, täglich hunderte von ihnen warm verpflegt, und völlig kostenlos, und ebenfalls eine kostenlose Schule für hunderte von „Kokorat“ (Kokorat sind Strassenkinder) geführt. Diese Schule, meine Leser, Freunde und ich haben sie öfters unterstützt, erhielt manchmal Sachspenden. Schulmöbel, Malsachen, Blockflöten und so. Doch einige Jahre blieben die Sendungen aus, auch angezeigte. Mein Freund glaubte an Diebstähle durch die örtliche Post, was ist naheliegender. Alle Demarchen und Briefe fruchteten nichts, bis ihm der Geduldsfaden riss und er in einem bissigen öffentlichen Brief die Schweinerei bekannt machte. Kopien gingen unter anderem an Presse, Regierung, Botschaften, Postverantwortliche, aber auch an mich und andere Freunde.
Endlich bemühte sich männiglich um die Schlamperei, und versprach Untersuchung. Und was kam schliesslich raus? Die Schweizer Post hatte ihre Pflicht an irgendeine Privatfirma verscherbelt und nicht gemerkt, dass die seit Jahren Konkurs gemacht hatte. Demzufolge blieb das ganze Sammelgut auf wirren Haufen auf irgendeiner kleinen Bananeninsel liegen, und ohne die geharnischten Proteste meines Freundes hätte dies wohl niemand jemals gewahrt. Die Generaldirektion der Schweizer Post entschuldigte sich bei meinem Freund, papierbrieflich, und versprach ihm für seine Stiftung ein „Schmerzensgeld“ von 10’000 Franken (ich habe den Brief gesehen). In der Folge wurden jedoch nur 2000 Franken ausbezahlt. Leider hat sich mein lieber Freund inzwischen das Leben genommen. Angeblich, nach offizieller Lesung.
Die Deutsche Post hat ungleich schneller und kulanter reagiert. Ich schreibe in Haïti meine Bücher, deren Erlös für unsere Strassenkinder-Schule bestimmt ist. Die Deutsche Post hat denn fast jedem von ihnen eine Briefmarke gespendet. Auch die jungen Bürger von Haïti sind schnell und modern. Dank e-Mail und Internet haben sie das Postzeitalter direkt übersprungen.
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