Pulverfass Venezuela: Valencia protestiert gegen die Regierung von Präsident Maduro

valencia

Datum: 20. Februar 2014
Uhrzeit: 12:03 Uhr
Ressorts: Leserberichte
Leserecho: 7 Kommentare
Autor: Martin Bauer, z.Zt. in Valencia (Leser)
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Ich lebe seit langen Jahren in Caracas und musste nun berufsbedingt in die Stadt Valencia. In der drittgrößten Stadt Venezuelas und Hauptstadt des Bundesstaates Carabobo gehen seit Tagen Hunderttausende auf die Straßen und fordern den Rücktritt von Präsident Maduro. Dort wurden Studenten gefoltert und barbarisch missbraucht. Eines dieser Opfer habe ich getroffen und konnte in interviewen.

Als ich durch die Straßen der Stadt zu einem Termin ging, kamen zwei Busse mit Männern in Militärausrüstung an. Laut meinem Begleiter sollen sie aus Kuba stammen, was ich allerdings nicht bestätigen kann. Anscheinend hatten sie nicht damit gerechnet, dass die Menschen einer Millionenmetropole praktisch komplett auf der Strasse zu sehen sind voller Hass FUERA! schreien. Sie wurden aus Fenstern und von Hausdächern mit allem beworfen, das hart, schwer und entbehrlich war. Ich musste mich mit meinem Begleiter in einen Hauseingang zurückziehen, die Menge war außer sich.

Kurz darauf wollte ich mit zwei anderen Männern einer alten Frau helfen, die bei dem Versuch, Deckung zu finden, stürzte und nicht mehr hoch kam. Sie war jedoch sehr schwer und konnte sich selber nicht bewegen. Ich rief der National Garde zu, „MUJER HERIDA! AMBULANCIA POR FAVOR!“. Als Antwort kam Tränengas und einige richteten ihre Gewehre auf uns. So zogen wir uns in ein fremdes Wohnhaus zurück und ließen die Frau liegen. Ich weiß nicht, was aus ihr wurde.

Jeder der Hausbewohner hatte Lappen mit Essigwasser parat. Ich wartete das Schlimmste in einer Wohnung im 4. Stock ab und konnte beobachten, wie die Soldaten auf Fenster von Wohnungen schossen, mit Motorrädern in Hauseingänge fuhren, Demonstranten verhafteten und in eines der Panzerfahrzeuge luden (dort werden sie gefoltert, wie ich von einem Betroffenen heute erfuhr).

Die Truppe hatte in dieser Strasse nicht viel Glück. Der starke Wind trieb das Tränengas sofort zurück, ihnen selber ins Gesicht. Eines der „Tanquitas“ (kleines Panzerfahrzeug), wagte sich etwa 200 Meter in die Strasse hinein, verkündete über Lautsprecher etwas von „Militärrecht, alle sollen nach Hause gehen“ und „nicht mehr per Verfassung garantierter Sicherheit“ (den Witz fand ich besonders gelungen). Als Antwort landete eine komplette Keramik-Kloschüssel vom Dach eines ca. 10-stöckigen Wohnhauses genau auf dem Waffenturm des Fahrzeugs, ohne erkennbaren Schaden anzurichten. Aber der Einschlag muss für die Insassen ein Schock gewesen sein.

Insgesamt stand die Truppe einer unlösbaren Aufgabe gegenüber. Sie erwartete, eine Demonstration aufzulösen. Aber dazu hätten sie die Stadt evakuieren müssen. Die Menschen demonstrieren, wo sie wohnen, überall, in jeder Strasse. Demonstranten und Anwohner sind die selben. Lenkt der Sturmtrupp irgendwo in eine Strasse, verschwinden die Menschen in ihren Höfen und Häusern. Hinter ihm kommen sie wieder raus.

Der Trupp zog einige Schleifen, wanderte hin und her, ohne jeden Sinn und Wirkung. Ich nutzte einen Moment der Ruhe, um meinen Weg fortzusetzen. Nun, da ich am Rechner sitze, kracht und rumort es noch immer pausenlos in den Strassen. Aber bei dem Echo der Häuser kann man die Ursachen oft nur schwer unterscheiden. Ich hoffe, die Nacht werden wir etwas Ruhe finden. Morgen werden die Menschen noch zorniger und entschlossener sein.

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Kommentarbereich

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  1. 1
    Franky

    Danke für diesen Post – meine Leute in Venezuela sagen – nagua nagua sieht nun aus wie Irag -Bagdad in den Kriegszeiten – keine Chance sicher an Lebensmittel zu kommen – scheint so, das die geknechteten Menschen nun wirklich die Schnauze voll haben.

    • 1.1
      Martin Bauer

      Ja, der Aufruhr beschränkt sich eben nicht mehr auf die besseren Wohngebiete, die Trigal und Prebo, sondern ist inzwischen flächendeckend. Auch das Zentrum, die Vororte, die Armenviertel im Süden machen mit.
      Vorgestern kam eine Abordnung von Demonstranten aus San Blas zu den Studenten in Prebo, einfache Jungs, die noch nie ein Collegio oder eine Universität von innen gesehen haben, mit dem Vorschlag, gemeinsam zu marschieren, durch alle Zonen der Stadt. Einer fügte hinzu, es gäbe eine Organisation von radikalen Regierungsanhängern, die alle Nachbarn einschüchtern und bedrohen, die an Protest gegen die Regierung auch nur laut denken. – Selbst im Prebo schoss gestern ein wohlhabender Chavista aus dem Fenster seiner Luxuswohnung auf demonstrierende Nachbarn auf der Strasse. Er lief allerdings Gefahr, gelyncht zu werden.

      • 1.1.1
        annaconda

        Sagte ja immer,die sind nicht alle dumm,wie hier oft gepostet wurde.Doch wer jahrelang dem Terror von Militaer ,Polizei, Motorradbanden ausgesetzt war oder ist,der hat einfach Angst auf die Strasse zu gehen.Und die brutale repression der letzten Tage hat ja bestaetigt ,dass diese Aengste nicht unbegruendet sind.Aber die mutigen Studenten haben wie immer zuerst ihre Koepfe hingehalten und je mehr auf die Strasse gehen, umso mehr gesellen sich auch die anderen Unzufriedenen hinzu.Merida ist seit 2 Wochen im zivilen Widerstand und nun drohen sie Merida und Tachira den Benzinhahn zuzudrehen.Das wird aber die Leute nur noch wuetender machen.Die sind nicht nur brutal sondern auch noch bloed,allen voran Maburro!Chavez besass zumindest noch ein strategisches Talent,aber Nicolas ist der Elefant im Porzellanladen.

      • 1.1.2
        Martin Bauer

        Ich für meinen Teil habe den Venezolanern auch niemals Dummheit unterstellt. Was mich nervt, auch jetzt, ist der Umstand, dass kaum jemand eine angefangene Sache korrekt und konsequent zu Ende bringt. Da bauen sie lieber 3 Barrikaden mit meterbreiten Lücken beiden Seiten, durch die gerade Motorräder mit Carajo durch fahren, als eine richtige, die nur ein Panzer durchbrechen kann. – Dann schütten sie Öl auf die Strasse, aber so spärlich und weit verstreut, dass kein Zweirad damit das geringste Stabilitätsproblem bekommt, anstatt eine grosse Spur von 3-4 Meter Breite zu legen. Nur ihre eigenen Schuhe lösen sich auf. etc. etc. – Ich bin vielleicht doch zu sehr Perfektionist, für diesen Kontinent…

  2. 2
    VE-GE

    Ja was denkst du den ?

    • 2.1
      Franky

      Ich weiß, dass sie schon lange genug haben, aber es ist schon eine andere Sache wirklich aufzustehen und mit zu marschieren und das wird eine Massenbewegung wie ein Flächenbrand.
      Und dennoch bin ich besorgt um meine Familie in Nagua Nagua,, wie auch meine Frau, die nun lieber dort bei Ihrer Familie wäre und nicht hier in D.

  3. 3
    Ray

    same here … meine Frau ist aus Valencia und ihre Familie lebt grösstenteils in Trigal.
    Wir telefonieren (dank flatrate) und skypen mehrmals täglich mit ihnen und meine Frau nimmt das Ganze natürlich enorm mit. Vor allem da ihre geliebte Grossmutter schwer krank ist und die dringend benötigten Medikamente einfach nicht mehr aufzutreiben sind. Eigentlich wollten wir diesen Sommer wieder mal nach V. – wird wohl nichts!

    Man kann jetzt echt nur hoffen und dafür beten dass dieser Spuk recht bald vorbei ist, geht ja manchmal schneller als man sich versieht (siehe ehemaliger Ostblock, Nordafrika)

    Ich lese hier schon eine ganze Weile mit und ich muss sagen Respekt vor Leuten wie Martin Bauer u.a. … alles Gute euch da unten!

    Saludos desde Berlin

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