Auf Seite 406 hatte ich dann endlich meinen Treffer: voller Genugtuung markierte ich das fehlerhafte Wort in meinem Rezensionsexemplar, sprach gedanklich jedoch schon höchste Bewunderung an die Autoren aus in Hinsicht auf die Authentizität des Werkes. Schließlich fehlten nur noch 21 Seiten bis zum Buchende und es war nach meinen Erfahrungen inhaltlich bislang absolut fehlerfrei. Und es sollte dann auch tatsächlich keine Unrichtigkeit mehr folgen, zumindest nach meiner bescheidenen Ansicht.
Ich lebe erst seit knapp einem Jahrzehnt in Brasilien und habe deutlich weniger Punkte in dem gigantischen Land bereist wie die Autoren von „Brasilianische Streifzüge“. Axel Brümmer und Peter Glöckner erzählen in ihrem jüngsten Werk von einigen wagemutigen Radtouren durch das faszinierende Land zwischen Pampa und Amazonas, zwischen Pantanal und Atlantikküste. Sie haben vermutlich mehr Fahrradkilometer auf dem Buckel als ich jemals mit dem Auto zurückgelegt habe. Sie haben 150 Länder bereist und waren 12.000 Kilometer auf Urwaldflüssen und 35.000 Seemeilen auf dem Meer unterwegs. Wer will ihnen die nötige Erfahrung abstreiten?
Und die aus meiner Brasiliensicht unbestrittene Wahrhaftigkeit ihrer Erlebnisse macht gerade den Reiz dieses Buches aus. Denn nur wenige dürften die einzelnen Reiseabschnitte aus eigener Erfahrung kennen. Beispielsweise der Besuch der Serra da Capivara im Bundesstaat Piauí. Als ich Anfang Februar bei meiner Ankunft zu Hause im Süden des Landes das Buch im Briefkasten fand, waren gerade acht Tage seit meinem eigenen Besuch dort vergangen. Die berühmten Felszeichnungen hatten meine Tochter und mich genauso fasziniert, noch einmal zog die Wanderung in dem Naturparadies an meinem geistigen Auge vorbei.
Damit war ich bereits über die detaillierten Erlebnisse der Protagonisten am Anfang des Buches mehr als überrascht. Das Werk war nicht nur flüssig zu lesen sondern enthielt neben der reinen Reisebeschreibung eine Vielzahl von Anekdoten und Kleinigkeiten, die sonst als Banalität einfach unter den Tisch fallen. Ob die Frage nach „warmen Bier“, deutscher „Unreinlichkeit“ oder Gewöhnungszeiten von Havaianas-Sandalen – mit all dem und noch vielem im Buch beschriebene mehr war ich selbst in den vergangenen Jahren konfrontiert. Es war fast so, als würden mir meine mühsam erklommenen Migrations- oder Immigrationsstufen noch einmal begegnen. Nur dass ich sie nun mit gedanklicher Leichtigkeit bewältigte.
Die „Streifzüge“ durch meine neue Heimat bieten jedoch einiges mehr. Im Innenteil zeugen zahlreiche Fotos von dem Erlebten – und auch hier schien der Blick der Autoren an mancher Stelle dem meinigen zu Gleichen. Zumindest einige Motive könnten auch von mir stammen. Doch meine Erfahrungen mit dem gigantischen Land sind natürlich deutlich beschränkter, so dass ich von den ambitionierten Radfahrern zeitweilig schnell auf unbekanntes Terrain entführt wurde. In Orte, die ich nur von vielen Berichten kenne, aber auch in Regionen, von der mir zumindest die dortige Lebensart bekannt sind. Auch ich war schon im Hinterland, bin – wenn auch mit dem Bus und nicht mit dem Fahrrad – über 1.000 Kilometer durch den Sertão geholpert und war auf dem gewaltigen Amazonas unterwegs. Ich sah Kaimane, Wasserschweine, Fischotter und unzählige Vögel im Pantanal, fotografierte Jaguar-Tatzen und beobachtete Araras im Sonnenuntergang.
Ich kenne den Staub auf den Landstraßen, den Lärm der Metropolen und die Endlosigkeit der Atlantikküste mit seinen unzähligen Stränden und der Weite des Meeres. Die faszinierenden Panoramen hoch oben auf den Tafelbergen oder die selbst am Horizont nicht enden wollenden Graslandschaften. Und ich weiß, wie so manche Menschen jenseits der großen Städte „ticken“.
Doch müsste mir dann das Buch nicht langweilig vorkommen? Schließlich habe ich vieles davon erlebt und gesehen. Doch zu meiner eigenen Überraschung war genau das Gegenteil der Fall. Und gerade für jemanden, der Brasilien noch nicht so intensiv erlebt hat, dürfte es einen wahren Genuss darstellen. Auch weil zahlreiche Zitate früherer Entdecker und Literaten die Situation entweder ebenfalls bestätigen oder relativieren. Manchmal auch im Widerspruch mit den Erfahrungen der Weltreisenden.
Es ist daher umso mehr Lesetoff per Exzellenz, der den Brasilienfan tief in die brasilianische Realität eintauchen lässt, ohne den Blick auf das Wesentliche zu verschleiern. Hunderte von winzigen und scheinbar nebensächlichen Details in den sieben niedergeschriebenen Reisen verbinden sich zu einem gewaltigen Puzzle, welches sich mit jedem Umblättern weiter zusammensetzt und ein authentisches Bild eines gigantischen Landes mit unzähligen Facetten und zahlreichen Gegensätzen zeichnet. Etwas, was ich als Brasilienkenner von diesem Buch im Vorfeld nie und nimmer erwartet habe. Und ich habe schon einiges über das angebliche Brasilien gelesen.
Als ich am Ende das Buch zuklappte, beschloss ich dann auch kurzerhand, schnellstmöglich weitere Veröffentlichungen der Weltenbummler zu verschlingen. Ich hoffe, dass sie genauso lehrreich und spannend sind wie ihr jüngstes Werk, welches gerade erst zur Frankfurter Buchmesse im Oktober 2013 herauskam. Ich freue mich auf Berichte über Reisen vor 20 Jahren, schließlich hat sich Brasilien seitdem massiv verändert. Die Geschichten in „Brasilianische Streifzüge“ stammen aus den Jahren 2007 bis 2013 und sind vielleicht auch deshalb für mich so nah an der Wirklichkeit.
Die Autoren versprechen nicht zu viel, wenn sie wie in dem an mich gerichteten Anschreiben von sich selbst behaupten:
„All das betrachten wir aus dem Blickwinkel der einfachen Bevölkerung genauso, wie als erfahrene Reisende. In erster Linie aber als jemand, der sein Herz an dieses großartige Land verloren hat“.
Dies kann ich mit reinem Gewissen unterschreiben. Und dass bei den Wasserfällen von Foz do Iguaçu statt der auf Seite 406 erwähnten Ameisenbären (zahnlos, scheu und träge) ganze Horden von Nasenbären (bissig, flink und frech) ihr Unwesen treiben – zu dieser Erkenntnis kann man ganz einfach selbst gelangen. Am besten bei einer Reise ins faszinierende Brasilien und seinen unglaublichen Naturschönheiten!
„Brasilianische Streifzüge“ – Erfahrungen zwischen Cachaça und Curaré ist in der ersten Auflage im Oktober 2013 als Hardcover unter ISBN 978-3-934996-20-5 in der Reihe Weltsichten erschienen, umfasst 432 Seiten und kostet 22,90 Euro.
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