An der Endhaltestelle angekommen, steige ich aus, spüre aber noch das Schütteln des Busses auf der Schotterstraße in den Beinen. Freiwillige kamen wegen der weiten Anfahrt zu dieser einen Schule bisher nie öfter als dreimal. Die Schüler sind nicht daran gewöhnt, sich am Unterricht zu beteiligen, da sie fast nur aus Büchern lernen. Trotzdem es jedes Mal Mut und Vorbereitung kostete, hinzugehen, war jeder einzelne Nachmittag ein Geschenk. Pokomchí ist ihre erste Sprache, Spanisch fällt ihnen sehr schwer und mit mir – einer anfangs Fremden – Englisch zu sprechen, zusammenhanglose Silben, war daher ein großer Vertrauensbeweis. Sie sind immer neugieriger geworden und am schönsten war gemeinsames Singen, die Freude, als ich begann, ihre Tracht zu tragen und Fragestunden auf Pokomchí, als sie neugieriger wurden. Letztlich haben ich ihnen vielleicht mehr Respekt und Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein mitgeteilt als Englisch. Aber ganz ehrlich: Was ist denn wichtiger, um erwachsen und selbstständig zu werden?
Sie haben mich dafür gelehrt, umsichtig und mutig für den Alltag zu sein. In diesem Jahr wurden fünf Menschen in der Großgemeinde hier umgebracht, was mir viel erscheint, da San Cristóbal im Vergleich sehr ruhig ist. Dabei waren die meisten Erpresser und ein anderer sehr leichtsinnig. Einmal wurde in unser Haus eingebrochen, was wohl an unserer Unachtsamkeit lag: Meine Mitbewohnerin hatte ihren Laptop und Fernseher durch die Fenster sichtbar stehengelassen. Insgesamt habe ich mich hier immer sicher gefühlt, vor allem da ich meine Nachbarn und viele Menschen kenne und ihre Sprachen spreche. Natürlich gehe ich im Dunkeln nicht auf die Straße und achte auf die unbekannten Autos und Fußgänger auf meinem Weg.
Die weiten Täler nehmen mir immer noch den Atem. So wenig ich vor einem Jahr gedacht hätte, dass ich hier wirklich heimisch werde, mich sicher fühlen und Freunde gewinnen würde, so seltsam ist es, jetzt an die Abreise zu denken. Manchmal fühlt es sich noch immer unwirklich an, hier zu sein. Einmal kam in einem Dorf im Regenwald ein sehr alter, sehr kleiner Mann auf mich zu und ehe ich mich versah, hatte er sich auf die Zehenspitzen gestellt, mich zu sich heruntergezogen, mir einen Kuss auf die Wange gedrückt und ging seelenruhig davon.
Es gibt so vieles, was ich ausprobieren und lernen durfte: Spanisch, Webseiten aktualisieren, Unterrichten, Dolmetschen, ein wenig Pokomchí… Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich wenig hier „verbessert“, aber das war mir von Anfang an klar und in meinen Augen ist es eher gefährlich, wie ausländische Teams mit ihren Werten an ihr Land angepasstem Wissen von gesunder Ernährung herkommen, um zu helfen. Natürlich hilft es, umsonst Hasenscharten zu operieren, effiziente Öfen und Wasserfilter zu verteilen und verrottete Zähne zu ziehen. Aber manchmal erscheint es auch sarkastisch, mit „westlicher“ Technik das wiedergutmachen zu wollen, was hauptsächlich durch die Einführung „westlicher“ Nahrung und Technik entstanden ist und dadurch, dass Guatemala bis heute Spielball ausländischer Interessen ist. So wurde z. B. eine Frau mit den ihr gerade gegebenen Kopfschmerztabletten als Kopfband gesehen – schließlich sollen sie doch dort wirken!
Umso mehr begeistert mich das Maya-Saatgut-Projekt von Pablo Juq Saquí. Beeindruckt von der Idee, der Arbeit und seiner Person begleitete ich ihn ein paarmal und begann, mich für die Förderung seiner Arbeit einzusetzen, die viele wunde Punkte trifft. Er arbeitet mit Familien in den teilweise sehr abgelegenen Dörfern San Cristóbals. Sie säen, pflegen und ernten die alten Kultursorten der Region, die viel nährreicher, resistenter und anspruchsloser sind als die so hochgepriesenen Hybridsorten. Dadurch werden die Sorten erhalten, zugleich zeigt diese Arbeit vielen Familien einen Weg aus der hier sehr verbreiteten Mangelernährung und sie stärkt das kulturelle Selbstbewusstsein der Familien als Maya. Natürlich will niemand wirklich Geld dafür geben, dass indigene Dörfer Ernährungs-Souveränität erlangen, so ist vor allem Fundraising gefragt. Dieses Projekt wird mich wohl noch nach Deutschland begleiten.
Verschwitzt stehe ich vor dem Schultor. Die Jugendlichen spielen Fußball im Hof, die Mädchen kreischen. Als sie mich sehen, begrüßen sie mich laut und freudig: “C´aleen Ylva! Good afternoon!” Es ist gut, dass ich ein ganzes Jahr geblieben bin und nicht nur fünf Monate, wie eigentlich geplant; viele Erlebnisse wären mir verwehrt geblieben. Vielleicht ist dies das größte Geschenk in diesem Jahr: Freunde zu finden auf der anderen Seite der Erde und ein wenig in ihre Kultur eintauchen zu können.
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Autorin: Ylva Steinberg
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