Kaum ein Thema hat in den vergangenen Monaten zu so intensiven Diskussionen innerhalb unserer Redaktion geführt wie der Fall des deutschen Priesters Benedikt Lennartz. Der Pfarrer einer kleinen Gemeinde im Hinterland des Bundesstaates Alagoas in Brasilien wird verdächtigt, sich Zugang zu kinderpornographischem Material verschafft und dieses zudem verbreitet zu haben. Lennartz weist jede Schuld von sich und beschuldigt einen von ihm im Rahmen eines Sozialprojektes betreuten Jugendlichen der Taten.
Somit gibt es derzeit die Anklage der Staatsanwaltschaft auf der einen, die persönliche Erklärung des Geistlichen auf der anderen Seite. Und hier beginnen die Ungereimtheiten, die uns zu einer umfassenden Berichterstattung und umfangreichen Recherchen veranlasst haben. Als erstes deutschsprachiges Medium hat latina press über den Fall berichtet und damit selbst Familie und Unterstützer erstmalig mit den Vorwürfen konfrontiert. Erst als die dadurch entstandene Unsicherheit zu Tage trat, äusserte sich Lennartz in verschiedenen und teilweise sich widersprechenden Stellungnahmen.
Gerade weil weiterhin so viele offene Fragen bestehen, die vermutlich nur der mittlerweile vom Kirchendienst suspendierte Pfarrer beantworten kann, verfolgt unsere Redaktion in Zusammenarbeit mit verschiedenen deutschen Tageszeitungen die Entwicklung weiter. Die Ermittlungsbehörden schenken den Beteuerungen von Lennartz keinen Glauben, nach letzten Erkenntnissen ist auch das angekündigte entlastende Beweismaterial nicht aufgetaucht. Andere wiederum vertrauen dem Priester und sind von dessen Unschuld überzeugt.
Wir als Journalisten „glauben“ nicht. Es ist nicht wichtig, ob wir von Schuld oder Unschuld überzeugt sind. Für uns liegt die Wahrheit auch nicht irgendwo in der Mitte. Wir sammeln Fakten und versuchen, darüber objektiv zu berichten. Wir wollen nichts verharmlosen aber auch nichts dramatisieren. Wir wollen nicht Vorverurteilen oder Absolution erteilen. Wir wollen die Wahrheit herausfinden.
Doch diese Wahrheit liegt derzeit leider im Widerspruch vergraben. Je intensiver wir recherchieren, desto mehr Fragen tauchen auf. Teilweise sind diese ganz praktischer Natur. Warum hat ein Pfarrer ohne Besitz und Einkommen, wie Lennartz seine Situation in einer schriftlichen Stellungnahme über sich selbst schreibt, eine Kreditkarte? Diese soll bereits vor über einem Jahr „missbraucht“ worden sein, gemeldet wurde dies anscheinend nie. Warum hat der Geistliche bei seiner Vernehmung vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss der brasilianischen Senats nicht das schriftliche Geständnis vorgelegt, welches laut seiner lange zuvor gemachten Stellungnahme mittlerweile auch schon aktenkundig sein soll? Warum wurde Lennartz Vater erst knapp ein Jahr nach Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung des PCs von seinem Sohn über die Vorwürfe und Anklage informiert, übrigens nur einen Tag nachdem latina press erstmalig darüber berichtet hatte?
Dass bei so vielen Fragen mit fehlenden Antworten Zweifel auftauchen, dürfte selbstverständlich sein. Das Bistum Hildesheim hat sein Foto von der Webseite entfernt, das Kindermissionswerk hat die Spendengelder eingefroren und die Familie in Deutschland, die katholische Kirche in Brasilien und Lennartz selbst hüllen sich in Schweigen über die augenscheinlichen Widersprüche. Wir laufen im Kreis. Dies alles nährt die Mutmassungen und bringt zudem niemanden der Aufklärung näher.
Doch die sozialen und kirchlichen Organisationen, die Schüler und Schülerinnen seiner ehemaligen Schule, all diejenigen, die seine Hilfsprojekte in Brasilien engagiert unterstützt haben, wollen mit Sicherheit die Wahrheit erfahren. Sie haben allerdings den Luxus – anders als wir – den Aussagen des Pfarrers „glauben“ zu können. Wie schmerzvoll muss es aber dann sein, wenn mit neuen Fakten und Erkenntnissen sich die Widersprüche verstärken und so dieser Glaube letztendlich immer mehr erschüttert wird. Nur weil es jemand wagt, die Wahrheit im Widerspruch aufdecken zu wollen!
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